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Matzbachs Nabel

Matzbachs Nabel

Titel: Matzbachs Nabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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sagte er. »Will ich nicht. Ich geh jetzt Haus kucken. Baggert schön.«

9. Kapitel
    Bei der Inspektion des Hauses stieß Matzbach mehrfach Pfiffe aus. Irgendwann begegnete er Jorinde, die leise summend mit halbgeschlossenen Augen umherwanderte und ihn vorsichtshalber nicht sah. In der ersten Etage gab es sechs relativ große Zimmer, ein weitläufiges Bad und eine Behelfsküche. In vier Zimmern standen breite Betten, Typ
grand lit
, in allen gab es dunkle Regale, gut gefüllt bis zur Decke, und dicke Teppiche, allesamt zweifellos echt. Die beiden Ecktürmchen waren mit Wendeltreppen und Regalen versehen, dazwischen je drei Absätze oder Plattformen mit jeweils einem Sessel, Tischchen und Lampe; in halber Höhe konnte man von den Türmchen ins ausgebaute Dachgeschoß gelangen, in dem noch mehr Bücher, Tische, Sessel, Couches, Schnapsschränkchen und zahllose Spielgeräte standen: Tischfußball, alte Flipper, Münzautomaten, einarmige Banditen, ein Roulettetisch …
    Als er durch den zweiten Eckturm hinabstieg, bemerkte er, daß die dortige Wendelbibliothek ausschließlich Philosophie enthielt; er erinnerte sich, im anderen Turm, durch den er emporgekommen war, nichts als Kunst gesehen zu haben. Darauf inspizierte er abermals die Zimmer der ersten Etage und nahm die feinen Unterschiede wahr, die er beim ersten Rundgang übersehen hatte. Eines der Zimmer enthielt nur deutsche Literatur, eines englische und amerikanische, eines französische, italienische, spanische und portugiesische bzw. südamerikanische; wahrscheinlich paßten auch die Möbel, Bilder und sonstigen Dekorationsstücke dazu. Jedenfalls prangten im Antike-Raum an den wenigen Freiflächen der Wände, auf Schemeln, Tischchen und Sockeln ausschließlichantikische Dinge: ein alter Stahlstich mit Labyrinth und Minotauros, eine Aphrodite von Melos (mit fein angefügten Gipsarmen), eine Schale mit römischen Münzen, eine andere mit bronzenen Pfeilspitzen und sonstigen Utensilien zu Heilung oder Vernichtung, Scherben, Aquarelle, Büsten. Das fünfte Zimmer war offenbar dem Orient im weitesten Sinn gewidmet. An den Wänden hingen Bilder des Mihrab der Moschee von Córdoba, des Tadsch Mahal, einer verwickelten Pagode, eines obszönen indischen Tempels, dazu Hokusai-Drucke und ein chinesisches Rollbild; unter den herumliegenden und -stehenden Objekten identifizierte Matzbach eine tibetische Gebetsmühle, Ritualdolche, Tanzmasken; in den Regalen stand alles mögliche von Arrians
Indike
über etliche Ausgaben von
1001 Nacht
(einschließlich vollständiger Ausgaben von Galland und Burton) bis hin zur
Geheimen Geschichte der Mongolen
und neuesten Sachbüchern.
    Der sechste Raum schließlich – einer jener mit Bett – enthielt Genre-Literatur. Der ordentliche Osiris hatte die einzelnen Regalbretter wie überall mit Klebern versehen; Matzbach grinste vergnügt, als er neben den üblichen Einteilungen wie Krimi, SF und Abenteuer weniger gängige fand, die ihn aber ebenso überzeugten: »Sonette« (Petrarca bis Pastior), »Verwechslungskomödien«, »Bildungsromane«, »Künstlerromane«, »Kunstgewerbliche Nabelschau« (hier befremdete ihn die Anwesenheit von Augustinus neben Rilke und Handke), »Nonsens« (mit Lewis Carroll, Edward Lear und Martin Heidegger gut bestückt, dazu eine beeindruckende Sammlung von Verfechtern des
nouveau roman
), und anderes mehr.
    Ein jäher Gedanke, der andere auslöste, überfiel ihn und schleuderte ihn beinahe in einen Plüschsessel. Nach längerem Grübeln kicherte Matzbach, stand auf und ging wieder ins Erdgeschoß hinunter.
    Er fand Genenger und Jorinde über diverse Papierstapel gebeugt, die sie offenbar aus mehreren Räumen zusammengetragen hatten. Heinrich blickte auf, blinzelte und rieb sich die Augen.
    »Ein paar wirre Dinge … Ich schätze, wir sind gleich fertig. Hast du dir das Haus angesehen?«
    Jorinde seufzte lustvoll. »Ich auch. Also, wißt ihr, ich könnte ja mein Hexengewerbe auch von hier aus betreiben; muß ja nicht Düsseldorf sein. Wer mich hier wohnen ließe, der würde Gefahr laufen, auf der Stelle geheiratet zu werden.«
    Matzbach grinste. »Hör doch mit deinen Drohungen auf. Und ich hatte mir schon überlegt, weil’s mir gefällt, dem oder den Erben ein Kaufangebot zu machen. Bah. Gibt’s hier noch nen Keller?«
    »Mit reichlich Wein, Dicker.« Genenger ließ sich auf einen Stuhl fallen und langte nach dem nächsten Papierhaufen, während Jorinde einen Schmollmund zog und aus dem Fenster starrte. »Sieh

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