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Matzbachs Nabel

Matzbachs Nabel

Titel: Matzbachs Nabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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mit seinem wuchtigen Kinn.
    »Und was soll bei alledem faul sein?« sagte Jorinde.
    Genenger gähnte herzzereißend. »Tschuldigung. Ihr habt ja wenigstens überhaupt nicht gepennt, das ist leichter zu ertragen als eine Stunde oder zwei und dann wieder raus.«
    »Interessant. Ziemlich neblige Theorie.«
    Genenger blickte in den Rückspiegel; Matzbach fläzte sich neben dem Zinksarg auf der Ladefläche. »Ach halt doch das Maul. – Na ja, faul ist vielleicht übertrieben. Aber ich hab gestern versucht, deine Liste zusammenzukriegen. Dicker; du weißt schon, die Namen und so weiter von all denen, die via Klinik ins Jenseits abgedriftet sind. Dabei hab ich zufällig noch ein bißchen weiter geporkelt, bei den bestattenden Kollegen in der Gegend. Und als ich hinterher die besudelten Zettel verglichen hab, ist mir was aufgefallen. Und zwar, daß in den vergangenen zehn Jahren fast alle Leute mit zweifelhaftem Lebenswandel und staatstragenden Ansichten uns in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag verlassen haben. Das heißt, alle, die die Zehen nach oben gedreht haben natürlich. Immer dann, wenn einer der Jungs von der Klinik Dienst hatte.«
    »Hast du einen Ewigen Kalender?«
    »Klar doch; braucht man, wenn man Charon spielt und Kadaver ins Jenseits expediert.«
    »Gah«, sagte Jorinde. »Ist das dein Chinese?«
    »Mhm.« Genenger stellte den Motor ab und öffnete die Tür.
    Das zweigeschossige Haus stand auf einer nahezu kreisrunden Lichtung im kleinen Laubwald. Es war aus Backstein gebaut, geschwärzt von Jahren und Wetter; an zwei Ecken überragten Rundtürmchen das schiefergedeckte Giebeldach. Die Grundfläche von etwa fünfzehn mal fünfzehn Metern wurde noch durch eine umlaufende, überdachte Veranda vergrößert, zu der auf jeder Seite in asymmetrischen Geländerlücken jeweils drei Holzstufen führten. Es förderte jedoch die Symmetrie erheblich, daß am Pfosten neben einer der Seitentreppen ein massakrierter Pinscher hing und daß sich von der Minitreppe an der Vorderseite ein etwa 30jährigerschlanker Chinese erhob. Es schien ihm Mühe zu bereiten, den linken Arm vom Geländerpfosten zu lösen.
    »Felix Yü«, sagte Genenger. Er deutete mit dem Daumen hinter sich. »Jorinde Seyß. Baltasar Matzbach.«
    Jorinde schüttelte ihm die Hand. »Morgen.«
    Matzbach verneigte sich. »Mein langes Sehnen nach Eurem Anblick ist endlich gestillt.«
    Yü stutzte, dann grinste er und erwiderte die Verbeugung. »Der Frühergeborene beschämt mich; er verschwendet sein Herz über Gebühr.«
    Jorinde und Heinrich sahen einander an; sie sagte halblaut: »Gah«, und Genenger gleichzeitig: »O nein.«
    Yü blinzelte den Bestatter an, nicht nur aus Müdigkeit. »Keine besonderen Vorkommnisse. Kann ich …?«
    Genenger hob die Schultern. »Totenschein ausgestellt? Und sonst?«
    Yü schüttelte den Kopf. »Herzversagen. Sonst nix, außer …« Er hielt sich mit übertriebener Geste die Nase zu.
    Der Bestatter seufzte. »Ach ja, nun denn. Okay, ich glaub, du kannst dich in die Falle hauen. Und – vielen Dank.«
    Yü lächelte. »Aber gern. Wie Konfuzius sagte: Wenn Tote sich offenbaren, sollte der Weise sich verschließen. Oder so. Sagst du dem Alten Bescheid?«
    Genenger nickte; Yü rammte die Hände in die Taschen seiner Windjacke und marschierte los. Jorinde hob eine Braue und sah hinter ihm her; Matzbach feixte stumm.
    »An die Arbeit!« Genenger ging zur Tür. Jorinde folgte zögernd, blieb auf der mittleren Stufe stehen und hüstelte.
    »Eh, was sollen wir denn dabei?«
    Der Bestatter wandte sich im Türrahmen um. »Helfen, was sonst? Baltasar hilft mir beim Waschen und Verputzen und macht vielleicht Frühstück; du solltest dich im Haus umsehen,ob so etwas wie ein Testament rumliegt. Oder eine Liste mit Leuten, die im Todesfall zu benachrichtigen sind.«
    Matzbach schob Jorinde vor sich her. »Hurtig, mein Täubchen. Nicht alle Tage reiten solch’ Husaren trum trum trum trum und im Kriege durch die Lombardei. Wen meint der Chinamann mit dem Alten, dem du Bescheid sagen sollst?«
    »Ach, er hilft dem Schreiner und will sich wohl heute erst mal ausschlafen«, sagte Heinrich.
    »Ausschlafen? Gah«, murmelte Jorinde.
    Genenger hatte sich bereits ins Schlafzimmer verzogen, als Jorinde und Baltasar den Wohnraum betraten. Er war fast schwarz getäfelt; überall standen antike Schränkchen, Kommoden und Vitrinen. Auf einem langen Refektoriumstisch türmten sich Bücher und Papiere. Ein unangenehmer Geruch erfüllte den Raum. Neben

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