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Matzbachs Nabel

Matzbachs Nabel

Titel: Matzbachs Nabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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mich seiner annehme. Und der Totenschein. Alles ordnungsgemäß.«
    Der Beamte prüft die Papiere, zeigte sie der Staatsanwältin, dann dem Verfassungsschützer, und gab sie schließlich wieder zögernd zurück.
    »Das da?« sagte der namenlose Unauffällige; er deutete auf den Sarg.
    »Enthält, was an Osiris K sterblich war.«
    Dittmer gluckste; der Zivilbeamte verzog das Gesicht; die Staatsanwältin schwieg. Der Mann vom Verfassungsschutz nickte langsam.
    »Aufmachen.«
    Genenger schnaubte. »Machen Sie’s doch selber.«
    Einer der beiden anderen kam von der Veranda und half dem Kollegen. Sie nahmen den Deckel vom Sarg, schauten hinein, bewunderten möglicherweise die gefalteten Hände und den tadellos gebundenen Windsorknoten der Krawatte;dann packten sie zu und hoben den Leichnam an. Der Zivilbeamte beugte sich vor und untersuchte den Boden des Sargs; endlich nickte er, und die beiden ließen Osiris eher plumpsen als sinken.
    »Hat keinen doppelten Boden, die Kiste«, sagte Genenger mit leisem Knurren. »Was soll das denn, bitte sehr?«
    »Nur zur Sicherheit. Damit keine wichtigen Papiere verlorengehen.« Die Staatsanwältin blickte zum Haus. »Haben Sie da drin etwas gefunden, versteckt, beseitigt?«
    Genenger prustete. »Nee, auch nicht angezündet. Sollen wir uns jetzt hier ausziehen, damit Sie uns untersuchen können?«
    Dittmer rümpfte die Nase. »Mach keine ekligen Angebote, Mann. Also nix gefunden – oder nix gesucht?«
    »Wir haben die üblichen Dinge gesucht – Testament, Versicherungsdokumente, so was. Als Freund des Verstorbenen, und als Bestatter, habe ich das für meine Pflicht gehalten, tugendhaft wie ich nun mal bin. Liegt alles auf dem Sekretär. Ansonsten haben wir ihn gewaschen und zubereitet, wie du siehst; und wir haben uns erlaubt, aus seinen hinterlassenen Vorräten zu frühstücken. Spülen kannst
du
ja.«
    Nach kurzem Palaver – mehr Blicke als Gesten, mehr Gesten als Worte – winkte der Zivilbeamte dem Fahrer des Audi. Der Motor wurde angelassen, der Wagen setzte zurück und gab den Weg für Genengers Gefährt frei. Heinrich und Matzbach trugen den Sarg, Jorinde öffnete das Heck.
    Als sie zurücksetzten, drehten und abfuhren, schaute Matzbach – wieder auf der Ladefläche – noch einmal zum Haus.
    »Alle drin«, sagte er. »Und wünschen wir Ihnen viel Spaß. Außerdem danke.«
    »Wofür?« sagte Jorinde.
    »Für zahlreiche neblige Hinweise. Entweder ist Yü freier Mitarbeiter im Außendienst, oder der Arzt hat sie alarmiert. Jedenfalls haben wir hoffentlich alles, was sie suchen. Häh.«
    Genenger starrte geradeaus; er bog nicht in den Weg ein, der über die Weinberge führte, sondern lenkte den Wagen zur Bundesstraße am Ahrufer.
    »Seid ihr wahnsinnig, oder was?« sagte Jorinde.
    »Wieso, Gespielin des Nachtwinds?«
    »Mensch, das Aufgebot – wollt ihr euch mit dem Staat anlegen?«
    Genenger schnaufte nur; Matzbach keckerte.
    »Der Staat«, sagte er, »unterscheidet sich von der Mafia dadurch, daß er immer das Gemeinwohl vorschiebt. Und die Mafia ist effektiver organisiert.«
    »Willst du zu Yü?« Genenger deutete mit dem Kopf auf den Neubau, dem sie sich näherten.
    »Erraten, Gevatter Bestatter. Laß mich hier raus. Ihr solltet außer Reichweite sein, wenn die Damen und Herren finden, daß sie nichts finden. Versteckt die Papiere erst mal. Jorinde kann ja vielleicht einen Tarnzauber machen, alles einnebeln, wie?«
    Sie schaute aus dem Seitenfenster; ihr Mund war ein Strich. »Ich glaube, ihr seid wahnsinnig.«
    Matzbach streichelte ihren steifen Nacken. »Ts, ts, ts. Du überschätzt das. Kleine Jungs brauchen was zum Spielen. – Laß mich hier raus; ich komm irgendwann zu Fuß zurück.«
    Jorinde ließ ihn aussteigen. Fast flehend starrte sie ihm in die Augen. »Warum machst du das, Baltasar? Warum?«
    »Wegen seiner Bibliothek. Wer Rilke, Handke und Augustinus unter ›Nabelschau‹ einsortiert, hat Anspruch auf meine Solidarität.«

10. Kapitel
    Mein Großvater«, sagte Yü, »wiewohl trefflichen Charakters, übte zu einmütigem Hohn das schändliche Gewerbe des Kriegers aus. Und zwar tat er dies lange Zeit in der öden Wüstenei von Sinkiang, jener verlausten Gegend, wo der Rand der Welt sich vor Abscheu wölbt und das Antlitz des Himmels unerreichbar fern scheint. Sein Rufname, in Eure zweifellos edle, wenngleich für eine minderwertige Geläufigkeit kaum gangbare Zunge übertragen, lautet etwa ›Glück‹ oder ›der Glückbehaftete‹; damit sein ehrendes

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