Matzbachs Nabel

Ich hab’s ja überflogen, also weiß ich, worum’s geht. Das hier ist eine Liste von Namen, die dich sehr überraschen wird, Dicker.« Er faltete eines der Blätter und reichte es Matzbach, der es ungelesen einsteckte. »Du kannst es ja nachher, unter euch, Jorinde zeigen, und ich erzähl Yü später, was es ist. Die beiden anderen Dinger sind an und fürsich harmlos; das eine ist ein jämmerlich schlechtes Gedicht mit ein paar weiteren Notizen; können wir gleich lesen oder deklamieren. Das andere ist ein Zettel, auf dem was steht, womit keine Sau was anfangen kann. Ich jedenfalls nicht.«
    »Was denn?« sagte Yü.
    »Hier. ›Strategische Bahn. Rosengarten. Sarg mit doppeltem Boden. Doktor Hemmessen.‹ Das ist alles.«
    »Hemmessen?« Yü klackte mit der Zunge. »Der hat den Totenschein ausgestellt.«
    »Einer der Herren von der Klinik, ja. Was das mit dem Sarg soll, weiß ich nicht. Und die Bahn und der Rosengarten sind uns allen reichlich bekannt.«
    Jorinde zeigte auf, schnipsend. »Mir nicht, Herr Lehrer.«
    »Ach, stimmt, du bist ja nicht von hier.«
    »Matzbach auch nicht. Weißt du das. Dicker?«
    Er grinste leicht. »Bonn ist eine Art Vorort des Ahrtals, Geliebte. Wenn man da die Ohren aufhält, erfährt man so was einfach, ob man will oder nicht. Im übrigen weißt du es wohl, nur mit anderen Worten. Das ist der Bunker.«
    »Marienberg?«
    Genenger nickte. »Mal so genannt, mal anders. Im Kaiserreich sollte eine sogenannte Strategische Bahn vom Braunkohlegebiet bei Liblar bis nach Lothringen gebaut werden, von wegen Nachschub und schnellere Verlegung und derlei. Ist aber nicht fertig geworden und wurde nach dem Ersten Weltkrieg nicht weitergebaut. Da gibt’s noch ein paar riesige freistehende Säulen in der Gegend; sollten ursprünglich mal die Bahnbrücke übers Ahrtal tragen, die nie fertig wurde. Zu dem Bahnbauprojekt gehörte auch einiges an Tunnels und unterirdischen Depots; das hat man dann in den Bunkerkomplex integriert. Der wichtigste Berg über dem Bunker heißt Hardtberg; das ganze liegt am Rand einer Weinlage namensMarienthaler Rosengarten, deshalb heißt der Bunker auch Rosengarten – netter Name bei der Menge Beton. Und letzten Endes hat man die Ecke da Marienberg genannt, weil direkt unterhalb das alte Kloster Marienthal liegt. Alles klar?«
    Jorinde zog eine Schippe. »Och. Und ich hab dich schon so bewundert, Dicker, weil du das alles weißt, mit dem Bunker und den Zufahrten. Dabei ist das hier offenbar Volksgut.«
    »Jedenfalls kein Geheimnis. So, was machen wir mit diesem schrecklichen Gedicht? Vorlesen?«
    »Au ja. Zur Entspannung und aus deinem Munde, Henri, muß es gar wunderköstlich werden.«
    »Ach halt den Rand, Matzbach.« Genenger hielt das letzte Blatt hoch, wölbte affektiert die Brauen und spreizte die kleinen Finger ab. Dann las er vor. Draußen war das dünne Knattern eines Mopeds zu hören, das kurz stoppte und dann weiterfuhr. Niemand achtete darauf.
    Herr Uwe hat ein Ehrenwort geschissen
    (die Augen zu und durch!), dann ging er baden.
    Graf Trutz, der wollte es genauer wissen
,
    drum wurd er auf die Liste nicht geladen.
    Den Wiesheu haben Wölfe nachts gerissen
,
    was biß er auch den Bossen in die Waden?
    Graf Otto hat Belege weggeschmissen –
    Ballastverlust beim Aufstieg ist kein Schaden.
    Herrn Helmuts Tugenden warn sekundär
,
    Herr Oskar hat auf Tugend ganz verzichtet;
    Herr Rau hat kandidiert, fiel’s ihm auch schwer
,
    und wurd von den Genossen hingerichtet;
    Herr Jochen bellt, am liebsten hinterher;
    Herr Wolfgang hat die Wirtschaft neu erdichtet;
    Herr Björn hält mehr von sanfterem Verkehr;
    Herr Karsten hat den Globus neu beschichtet
.
    Frau Rita und Frau Heidi und Frau Holle
,
    Schneewittchen und Dornröschen und die Feen
,
    Franz-Josef, Lothar, Kappesgnome, Trolle
,
    zwar nicht zu glauben, aber sehr zu sehen
.
    Sie sagen, daß man sie nur wählen solle
,
    herzen und küssen, dann würd‘s schon geschehen:
    der Frosch wird Fürst, gibt Milch und spendet Wolle
.
    Viel besser wär’s, sie würden einfach gehen
.
    Dazu der Pfälzer – Götter! dieser Pfälzer –
    Oger aus Oggersheim, der uns das Reich
    ins Heim holt. Bodendenker, Sprachzerschmelzer:
    das kostet alles nix – na ja, nicht gleich
,
    erst nach den Wahlen. Er hockt uns im Pelz, er
    sitzt aus und nach und rum, reitet uns weich
    (hier brech ich ab; im dicksten Schmähwortwälzer
    find ich doch nichts für ihn und sein Geseich)
.
    Gewerkschaftsbonzen ruinieren Banken
,
    reißen die Neue