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Matzbachs Nabel

Matzbachs Nabel

Titel: Matzbachs Nabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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Heimat ein und –
    Heinrich ließ das Blatt sinken. »Ende, mehr oder minder. Jetzt kommen noch ein paar Notizen und vorgesehene Reime, tanken, Kranken, danken, Veruntreuung von Arbeitergeld, Minister im Parlament, das sie doch kontrollieren soll, Sakrament, wundervoll, Exekutive, Beamte, plundervoll … Und ein paar halbfertige Schlußverse:
    Marionetten – wer hält nur den Faden
,
    wer führt den Schachspieler, wer legt die Rohre
    für all den heißen Dampf, wer tamta tamta
    im Kellerbunker leitet die Empore …
    Jorinde sagte leise: »Lieber Himmel. Was hat er da bloß vorgehabt?«
    »Paar nette Reime und schlappe Invektiven.« Matzbach steckte den kleinen Finger ins Ohr und porkelte, als ob er damit die vom Gehörten hinterlassenen Spuren im Schmalz tilgen könnte. »Aber ich glaube, das war erst der Anfang. Wahrscheinlich kommt, oder käme, jetzt erst all das, was er eigentlich loswerden wollte.«
    »Kannst du denn was damit anfangen?« sagte Yü.
    »Hmph. Anfangen wär zuviel gesagt; ich hab nen Verdacht, wohin es gehen könnte. Hätte gegangen worden sein sollen, oder so.« Er starrte an die Decke. Halblaut sagte er: »Ich kannte mal nen Journalisten; ist vor drei, vier Jahren gestorben. Ähnlich plötzlich übrigens wie Osiris. Hm. Ribbrocker hieß er. Der hat Verbesserungsvorschläge für dieses unser Land gemacht. Zum Beispiel Direktwahl der Abgeordneten, damit die Ärsche wenigstens alle vier Jahre merken, von wem sie Macht und Pfründe kriegen, nämlich nicht von ihren Parteien via Liste, sondern vom Volk.«
    »
Wer
sind das Volk?« knurrte Genenger.
    »Saubere Trennung von Legislative und Exekutive – da sind ja ein paar Hinweise am Ende dieses, eh, Poems. Ungefähr so: Das Parlament soll die Exekutive kontrollieren, theoretisch. Praktisch dürften dann Beamte nicht kandidieren, weil sie ja der Exekutive angehören. Praktisch dürfte kein Minister gleichzeitig Abgeordneter sein, weil und so weiter.« Er seufzte. »Viele nette Vorschläge. Demokratie an der Basis – Abgeordnete werden im Wahlkreis nicht von Parteiausschüssen nominiert, sondern per Briefwahl von allen Wahlberechtigten, nicht nur von den Parteimitgliedern. Abschaffung des angeblich nicht bestehenden Fraktionszwangs: Wenn nicht mindestens ein Drittel der Abgeordnetengegen die eigene Fraktion stimmt, ist alles ungültig, weil eine so gewaltige Übereinstimmung von Gewissen und Parteizugehörigkeit undenkbar ist.«
    »Gewissen ist die letzte Ausrede der Schurken«, sagte Yü.
    »Gewerkschaftsfunktionäre sollen nicht mehr verdienen als der Durchschnitt der Gewerkschaftsmitglieder. Man soll zu einem Regierungsbeschluß nicht Minister, sondern Fachleute interviewen; Journalisten, die Hofberichterstattung machen, statt Politiker bis aufs Blut zu piesacken und auszuquetschen, gehören gefeuert. Lauter feine Dinge. Irgendwie erinnert mich das daran.«
    »Muß gründlich totgeschwiegen worden sein«, sagte Genenger. »Ich hab nie was davon gehört.«
    »Wundert dich das? Die würden doch alle, egal ob links oder rechts, ihre Privilegien verlieren und müßten anständige Arbeit leisten.«
    Sie debattierten den Nachlaß allgemein und spezielle Aspekte im besonderen noch eine Weile, ohne zu lichtvollen Erkenntnissen zu gelangen.
    Als sie später alle gleichzeitig aufbrachen, begleitete Genenger die wirre Schar noch bis zum Friedhof. Dort blieb er stehen und pfiff schrill.
    »Da.«
    An einem Knauf des linken Torflügels hing, bestens verknotet und gründlich aufgeschlitzt, ein Cockerspaniel.
    »Das nimmt allmählich überhand«, sagte er mürrisch.
    Matzbach starrte auf den Weg. »Da war doch irgendwann ein Moped zu hören. Wo kann das hin, hier?«
    Genenger hob die Schultern. »Überall. Zurück, oder weiter talauf. Da gibt’s jede Menge Wege – nicht für Autos, aber mit dem Moped kommst du da fast überall hin.«
    Am nächsten Morgen saßen sie in der Sonne, neben dem Vielzwecktrog, beim Frühstück, als Genengers Leichenbenz auftauchte.
    »Hallihallo; gibt’s hier noch nen Kaffee?«
    Matzbach, mit vollem Mund, deutete auf die Trogkante; Genenger begriff und setzte sich, während Jorinde aus dem Haus einen weiteren Becher holte und ihn aus der inzwischen angeschafften Thermoskanne füllte, die Baltasars Morgenbräu in geseihter Form enthielt.
    »Ah, danke. – Jesses, steifes Zeug.«
    »Manche Leute« – Matzbach sprach undeutlich; ein großes Stück Eibrot behinderte vor allem die Konsonanten – »zünden morgens von selbst, andere

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