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Matzbachs Nabel

Matzbachs Nabel

Titel: Matzbachs Nabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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erheitert? Na gut, auf dein Risiko hin. Ich hab den Alten kaum gekannt, empfinde also keinen Verlust – persönlich. Man trauert ja nie um den Toten, sondern man betrauert das Gefühl der Überlebenden, etwas verloren zu haben. Was mich erheitert, ist der Mangel an … sagen wir mal: Entsetzen. Auch die Bewohner des idyllischen Ahrtals sind offenbar so sehr daran gewöhnt, daß alles aus denFugen geht, daß keiner sich mehr groß darüber aufregt. Vor zehn, fünfzehn Jahren, ehe jede Sau permanent von ›Betroffenheit‹ gefaselt hat, hätten wenigstens ein paar von uns, ah, auch getobt, geschrien, mit den Zähnen geknirscht. Die zigtausend Leichen pro Jahr in der Glotze stumpfen ab, aber das ist das geringere Übel. Wichtiger scheint mir, daß wir alle uns daran gewöhnt haben, mit unseren Politikern und anderen Mafiosi zusammenzuleben. Mit dem Verbrechen.«
    »Die Welt ist ein Scheißhaus.« Bergner, billardgesättigt, lehnte im Durchgang. »Zum Glück nicht meins.«
    Irgendwann sagte Yü: »Ich weiß gar nicht, ob er Verwandtschaft hatte.«
    »Zwei erwachsene Töchter, verheiratet und mit Anhang.« Genenger rappelte sich mühsam von der Lehne des Sessels auf, wo er wie ein Fragezeichen gehockt hatte. Er zog Eugenie hoch. »Adressen liegen wahrscheinlich irgendwo bei ihm rum. Ah, morgen, morgen. Ich mag nicht mehr.«
    »Müssen wir Wache schieben?« sagte Daniela; sie gähnte.
    »Zur Abwechslung bin ich bereit, mich mal auf die Polizei zu verlassen.« Matzbach bleckte die Zähne. »Sie haben gesagt sie wollen die ganze Nacht Patrouille fahren, am Ahrufer, damit keine bösen Motorradfahrer den Weg zu uns finden. Ehrlich gesagt bin ich zu müde, um viele Gedanken darauf zu verschwenden.«
    Am späten Vormittag versammelten sich Jorinde, Matzbach, Yü und Genenger zu einem beträchtlichen Frühstück. Daniela und Eugenie hatten sich auf die Bäder des Hauses verteilt und planschten; Bergner war mit Genengers Benz und Genengers Geld losgefahren, um Vorräte aller Art zu besorgen.
    »Wir werden also geduldig sein müssen wie die Schildkröten der Wüste, und wagemutig wie das Schneeschuhkarnickel.«Matzbach hatte in groben Zügen seine Pläne für die nächsten Tage skizziert und schloß mit diesen kühnen Worten.
    »Bevor du in schräge Geschichten ausbrichst, erzähl uns doch lieber noch mal, was bei deiner Reise rausgekommen ist.«
    »Hab ich doch … Ah, richtig, du Federkern meines Gemüts, du warst ja noch nicht dabei.«
    »Du hast es mir erzählt, beim Kaffeekochen«, sagte Genenger. »Yü weiß es auch noch nicht.«
    »Zerstreuung, meine Lieben, Zerstreuung. Wenn jemand so viel redet wie ich, weiß er am Ende nicht, was er alles verschwiegen hat.«
    In einer ungewöhnlich knappen Zusammenfassung berichtete er von seinen Fahrten und Funden; hierzu stützte er sich auf einen in der Gesäßtasche gründlich zerknüllten Zettel.
    »Bevor wir zur Einzeldarstellung der Namen und Personen kommen, laßt uns kurz das Kapitel Knete abschließen. Die drei Münzen haben mir viel Vergnügen gemacht, und der Händler, na ja, sagen wir lieber Dealer in Zürich auch. Ich hab ihm erst mal Grüße aus dem Jenseits ausgerichtet, von Osiris alias Schumann. ›Ah‹, sagt er, ›schreibt er nun keine schlimmen Verse mehr, oder?‹ Dann hat er sich die Münzen angeschaut, mehrmals kräftig genickt und gesagt, er hätte gerade einen kleinen Vorrat an gebrauchten Banknoten, und wenn ich etwa eine Rechnung wollte, sollte ich zu jemand anderem gehen. Ich hab auf die Rechnung verzichtet, da ich annehme, ihr traut mir eh nicht, und das Finanzamt geht alles nix an.«
    Genenger nickte stumm; Yü lächelte und sagte:
    »Wie Tschuang-tsu bei Gelegenheit bemerkte, ist Mißtrauen hilfreich beim Überleben; angesichts von Naturkatastrophenwie Erdbeben, Kaiserwechseln oder Matzbächen solle man jedoch getrost den Unbilden vertrauen, weil es ohnehin nichts nützt.«
    »Kluger Mann. Also. Die hundert Francs« – Matzbach studierte seine wirren Aufzeichnungen – »mit dem Buchstaben A für den Münzort Paris. Die Münze wurde 1870 geprägt, mit dem knebelbärtigen Napoleon Drei auf der Vorderseite, Staatswappen mit Adler hinten. Von dieser Münze gab es in diesem speziellen Jahr nur zehntausend Stück; das nie in Umlauf geratene, perfekt erhaltene Exemplar aus dem Nachlaß von Osiris hat einen Katalogwert von zwanzigtausend Dollar.«
    Genenger pfiff; Yü nickte; Jorinde schloß die Augen.
    »In Anbetracht der guten Beziehungen zu Osiris, und weil

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