Matzbachs Nabel
spuckte alles in einem Strahl über den Sarg, hustete und goß den Helm leer; dann warf er den Helm auf den Sarg. Es polterte.
»Fahr dahin.«
»Amen.«
Aus dem Strauß, den Eugenie hielt, zog Genenger eine Chrysantheme, führte sie an die Lippen und warf sie in die Grube. Der Pfarrer war der nächste; dann schloß sich die gesamte Trauer- oder Festgemeinde an. Als Eugenie am Schluß die letzten unverbrauchten Chrysanthemen auf den Sarg werfen wollte, streckte Jorinde die Hand aus.
»Gib.« Ihre Stimme klang dumpf.
Der Pfarrer warf einen Blick auf den Schleier, auf die Handschuhe, auf die Blumen, die Fackeln und die beiden Käfige, die Genenger hinter dem Aushub-Haufen abgestellt hatte und nun herbeibrachte. Dann seufzte er.
»Ich geh jetzt wohl besser. Ehe ich das Gefühl habe, Anstoß nehmen zu müssen.«
Er nickte Genenger zu, drehte sich um und ging, immer noch qualmend.
Ein paar Minuten später standen nur noch die Belegschaft der Villa Osiris sowie Dittmer und Elvira am Grab. Bergnersagte etwas wie »Asche zu Asche, Staub zu Staub, Dorf zu Dorf«, aber niemand hörte genau hin.
Inzwischen war es fast dunkel. Matzbach entkorkte eine der beiden übrigen Flaschen Glendronach, nahm einen Schluck und reichte sie Jorinde. Sie schüttelte den Kopf und schwankte, wie in Trance. Die anderen ließen die Flasche von Hand zu Hand gehen.
Genenger zog eine Dose voll von langen Streichhölzern aus der Hosentasche und machte sich daran, die Fackeln zu entzünden. Als alle loderten und die unbewegte Luft mit dem Ruch brennenden Harzes füllten, hielt der Bestatter das letzte Streichholz an Matzbachs Zigarre.
»Danke, Mann.«
»Is doch klar, ej.«
Daniela faßte nach Yüs Hand; Elvira wickelte sich in ihre Mantilla wie in eine Zwangsjacke; Eugenie lehnte mit verschränkten Armen an Charons Sargvehikel; Bergner stand mit gespreizten Beinen und baumelnden Armen da; Dittmer hatte die Hände in die Jackentaschen gesteckt, zog sie heraus, steckte sie in die Hosentaschen; Yü blinzelte in die nächststehende Fackel; Matzbach paffte und beobachtete die Taxushecke; Genenger stellte die beiden verhängten Käfige vor dem Grab ab; und Jorinde bewegte sich.
Sie hob den Schleier und ließ das schwarze Spitzengewebe fallen; wie ein trunkener Rochen segelte es auf den Sarg. Sie streifte die langen Handschuhe ab, reckte die Arme, stieß einen gellenden Schrei aus und wand sich auf der Stelle, die Arme wie Schlangen, Gesicht und Oberkörper mal nach links, mal nach rechts verdreht.
Elvira ächzte; die anderen starrten schweigend hin.
Im Fackellicht glühte Jorindes Gesicht. Es war kalkweiß. Die Lippen schwarz, mit glimmenden grünen Punkten. Die weitaufgerissenen Augen waren blutrot, ebenso die Arme bis zu den Ellenbogen. Sie stieß eine Reihe schriller, abgehackter, winselnder Töne aus, die wie Wörter einer vergessenen oder zu allgemeinem Heil verdrängten Sprache klangen.
Genenger bückte sich, hob einen der Käfige auf; Matzbach nahm den zweiten.
Jorinde schwieg, starrte in den Nachthimmel, dann ins Grab. Mit spitzen Fingern zupfte sie das schwarze Tuch vom ersten Käfig, öffnete die kleine Tür, steckte die Hand hinein und hielt eine Taube hoch. Dann kreischte Elvira auf, als Jorinde mit einer schnellen Bewegung beider Hände der Taube das Genick brach, sie zum Mund hob, mit den Zähnen den Hals aufriß und Blut und Federn ins Grab spie.
»Ich will hier weg! Ich will weg hier!«
Elvira hatte der Szene den Rücken zugewandt und versuchte sich an Dittmers Brust zu verstecken; er legte die Arme um sie, rührte sich aber nicht.
Mit langen, scharfen, giftgelben Fingernägeln riß die Hexe den Bauch der Taube auf, holte die Innereien heraus, ließ sie wie Schlangenflocken auf den Sarg trudeln, hob ein Stück, vermutlich die Leber, in den Himmel. Genenger hatte den leeren Käfig abgestellt und eine Fackel aus dem Boden gezogen. Er streckte den Arm aus, bis das stinkende Lodern über dem Sarg schien. Jorinde warf die Leber in die Flamme; es zischte, dann tropfte ein schwärzlicher Klumpen auf den Sarg.
»Flieg – flieg davon!« schrie sie; dabei ließ sie den Kadaver der Taube durch die Flamme in die Tiefe stürzen.
Sie atmete mehrfach durch, hob die Arme, murmelte unverständliche Laute; dann wandte sie sich Matzbach zu.
Der Käfig, den er hielt, war mit einem weißen Tuch bedeckt. Jorinde entfernte es wie zuvor das schwarze, holte eine Krähe heraus und wiederholte die Zeremonie. Als Matzbachden Käfig abgestellt
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