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Matzbachs Nabel

Matzbachs Nabel

Titel: Matzbachs Nabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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lächelte beinahe huldvoll, verneigte sich und sagte:
    »Meine Kinder, ihr wart glücklich in eurer Unzucht, seid nun züchtig in eurem Unglück.«
    »Aua. – Na, fertig?«
    Matzbach sah sich um und nickte. »Ein vermauerter Zugang zu einem weiteren Tunnel – unterm Neubau, wie vermutet. Schön ist das. Hat Pauly das gemacht?« Er nahm eine etwa kopfgroße Figur aus dunklem Holz in die Hand und fuhr mit der Fingerspitze über die Oberfläche. Es war ein kleiner Satyr, mit Bocksfüßen und Hörnern und langen spitzen Fingernägeln, in allen winzigen Einzelheiten sauber und perfekt. Eine Hand lag auf dem linken Knie, die andere machte in der Luft eine obszöne Geste, während der Satyr sich vornüberbeugte und mit diabolischem Grinsen die Zunge nach der Eichel seines ungeheuren Phallus ausstreckte.
    »Tja. Die Selbstgenügsamkeit metyphysischer Konzepte.« Matzbach stellte die Figur wieder auf den kleinen Tisch. »Hunger hab ich.«
    »Pauly ist nicht mehr zum Einkaufen gekommen. Im Kühlschrank ist nur ein bißchen Joghurt. Erdbeergeschmack.«
    »Wo ist der Kühlschrank? In der Not frißt selbst Matzbach Joghurt.«
    »Ich hol’s schon.«
    Zwischen den üblichen Werkzeugen, Bänken, Sägeblöcken, Farb- und Kleistertöpfen standen drei unvollendete Särge,einer aus wunderbar warm leuchtendem roten Holz. Auf Wandborden sah Matzbach allerlei Schnitzwerk, meistens irgendwie durch Spott gemilderte Dämonen. Er nahm den kleinen Satyr noch einmal in die Hand, betrachtete ihn genauer.
    »Hm. Drei Augen, zwei Nabel, und was ist das? Drei Hoden? Ja zapperment. Da fällt mir die Geschichte von dem Mann ein, der eines Tages bei der Morgenwäsche feststellt, daß ihm über Nacht ein drittes Ei gewachsen ist.«
    Yü grinste; Daniela, die mit zwei Joghurtbechern zurückkam, sagte fast sehnsüchtig: »Könnt nicht schaden.«
    »Ja, was? Jedenfalls freut er sich gewaltig, singt beim Frühstück, lauter so Dinge. Unterwegs zum Büro hat er das Gefühl, er müßte es der ganzen Welt erzählen, weiß aber nicht genau wie. Man kann ja schließlich nicht einfach … na ja, egal. In der Straßenbahn stößt er den Mann, der neben ihm sitzt, mit dem Ellbogen an und sagt: ›Wollen wir wetten, daß wir zusammen fünf Eier haben?‹ Worauf der andere ihn beinahe mitleidig anschaut und sagt: ›Ja wie, haben Sie denn nur eins?‹«
    »Tu den Satyr weg, eh dir noch mehr Storys einfallen. Hier, dein Joghurt.«
    Matzbach nahm die beiden Becher und den Löffel und sah sich nach einer Sitzgelegenheit um. Dann strahlte er, ging zum größten Arbeitstisch, auf dem Stifte, einzelne Nägel, Papierfetzen und Döschen aller Art lagen, und setzte sich auf den tatterigen Stuhl. Er stellte die Joghurtbecher ab und nahm den Totenschädel, der zwischen einem alten Tintenfaß und einer vermutlich für Feinarbeiten benutzten Zahnbürste mit vielfach verfärbten Borsten stand.
    »Ist der echt? Sieht so aus.«
    »Angeblich von seinem Großvater.« Yü hob die Schultern. »Der Ahnenkult bei euch Langnasen übersteigt das Maß dessen, was einer aus dem Reich der Mitte begreifen kann.«
    Matzbach drehte den Schädel um, blies hinein, zog dann ein Taschentuch aus der Hose und rieb die Innenseite der Schädeldecke.
    »Was wird das?« Daniela beugte sich vor.
    »Das ist gewissermaßen Pauly – ein Mitglied der Sippe ist wie ein anderes, nach dem Ableben.« Matzbach klemmte den umgedrehten Schädel zwischen seine Knie, riß die Folien von den Joghurtbechern und goß alles in den fleischlosen Kopf. Yü begann zu kichern, Daniela würgte theatralisch.
    »Das wollte ich immer schon mal machen. Hmm, aber heute ist eine wirklich gute Gelegenheit. Der beste Anlaß, gewissermaßen.« Er nahm den Löffel, rührte, aß, stützte dann einen Ellenbogen aufs Knie, das Kinn in die Hand und betrachtete das knochige Objekt, das er in der anderen Hand hielt. Der Löffel lehnte ordentlich am Rand.
    »Ach«, sagte er versonnen, »armer Joghurt. Ich hab ihn ja nicht gekannt, den Holzbeschwörer, kann also nicht sagen, ob er ein Bursche von endlosem Witz war, aber er hat ein witzloses Ende gefunden. Wahrlich gibt es mehr Dinge zwischen Himmel und Erde als anderswo.«
    »Konfuzius hat gesagt, du sollst dich von deinen Vorfahren nähren. Ich glaube aber, er meinte Tugend und Erträge.«
    »Ihr seid ekelhaft; ich mag euch.« Daniela lachte schallend. »Haben wir hier noch was zu tun, Felix?«
    Yü schob die Unterlippe vor. »Ich glaub nicht. Die wichtigsten Papiere und Adressen haben wir;

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