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Matzbachs Nabel

Matzbachs Nabel

Titel: Matzbachs Nabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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hatte, reichte Genenger ihm die Röstfackel und verschwand, um an der Friedhofsmauer etwas aus dem Dunkel zu holen: eine spitze Eisenstange.
    »Ihr macht das nicht zum ersten Mal, was?« murmelte Matzbach.
    Genenger nickte knapp.
    Dann lag auch die Krähe, ausgenommen und geweiht, auf dem Sarg. Jorinde trat einen Schritt zurück, kniete nieder und kratzte mit ihren gelben Krallen ein Pentagramm in den Boden vor der Grube; zwei der fünf Zacken des Sterns wiesen nach »oben«, hin zum Grab.
    Genenger wartete, bis sie sich erhoben hatte und aus dem Pentagramm getreten war; dann bohrte er mit der Stange Löcher in die Spitzen der fünf Zacken, legte die Stange auf den Aushub-Hügel und rupfte fünf Fackeln aus dem Boden längs des Wegs. Er rammte sie in die neuen Löcher.
    Jorinde trat in das lodernde Pentagramm, die Arme nach vorn ausgestreckt, die Handflächen nach oben, die Finger leicht gekrümmt, so daß die gelben Krallen den Widerschein der Fackeln aufwärts tropfen ließen. Mit gellender Stimme deklamierte sie:
    Gamygyn, der du die toten
    Seelen zur Befragung bringen
    und zerfetzen kannst, du großer
    Dunkeldämon, Born des Wissens
,
    Gamygyn, hör meine Rufe!
    Vegale hamikat’ umsa
    terata yeh dah ma baxa-
    soxa un horah himsere!
    Herrn der Anderwelten, laßt uns
    finden, was wir heute suchen
,
    daß uns allen Wissen werde
.
    Rekabustira kabusti-
    ra bustira tira ra
.
    Tod, du großer Basilisk, von
    dem sie sagen, daß ein jeder
,
    der dich ansieht, sterben müsse
,
    dich und Gamygyn und Hades
    ruf ich: kommt, bezeugt und richtet
.
    Laßt nicht zu, daß dieser Tote
    je in seiner Todesruhe
    jäh gestört werde, gewährt ihm
    die Lust ewigen Verweilens
    dort im Unsinn seines Nichtseins
.
    Laßt die Feinde, die ihn brachen
,
    sich verraten, so durch schnöde
    Gaben wie durch harschen Hader
.
    Ihre Tat soll wie ein Hemd aus
    Nattermähnen sie umhüllen
,
    schießen wie eisiges Wasser
    ins Gekröse, und wie heißes
    Öl in ihre morschen Knochen
.
    Seinen Freunden gönnt die Rache
    und gebt ihnen hier und heute
    einen Abschied ohne Trauer
.
    Ich rief euch, ihr seid gekommen
,
    habt gehört, was ich befehle
.
    Geht nun und gehorcht den Formeln
.
    Agla agla agla agla
    Tetragrammaton
    Sie nahm die restlichen Chrysanthemen, biß die Köpfe ab und spuckte die Blüten ins Grab.
    In der Nähe schrie ein Käuzchen; ein paar Fledermäuse zuckten durch den Himmel. In die Stille, die nur vom Knistern der Fackeln und erstickten Würgelauten Elviras gebrochen wurde, klang dumpf eine Stimme von irgendwo:
    »Wir hören und gehorchen.« Dann ein schrilles Kichern.
    Matzbach hob die Brauen; Genenger blinzelte zur Taxushecke hinüber.
    »Was … was war das?« sagte Daniela halblaut.
    Matzbach dachte an einen Abend in der
Reblaus
, an schräge Vorhersagen und wirres Gerede; mit unterdrücktem Lachen sagte er:
    »Gib’s schon zu, Bruder Flavio.«
    »Was?« Dittmers Stimme war belegt.
    »Du bist Bauchredner, oder?«
    Dittmer holte tief Luft, atmete zischend durch die Zähne aus, nahm Elviras Hand und drehte sich um. Eine halbe Minute später knallten die Türen des Wohnmobils, der Motor sprang an, heulte auf und wurde leiser. Schließlich herrschte wieder Stille. Genenger klatschte nach einem kurzen Schweigen in die Hände.
    »Aufbruch, alle Mann. Aufräumen können wir morgen.«
    Jorinde saß auf dem Aushub. Matzbach beugte sich zu ihr hinab. Sie hatte eben vorsichtig die roten Kontaktlinsen in ein Etui gelegt, steckte es ein und zupfte zerstreut an den gelben Krallen, nur durch ein Bad in Entferner zu lösen. Sie blickte auf lächelte, fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.
    »Na, war ich gut?«
    »So gut, wie man nur sein kann, wenn man nicht dran glaubt.« Er legte die Hände auf ihre Schultern und küßte sie. Die Lippen schmeckten nach Schminke und Blut, die Zunge nach Wildnis und Salz, Wind und Weite. »Am liebsten gleich hier, auf dem Aushub, o Herz. Diese fürchterliche Gier sollteman nicht schal werden lassen. Aber da ist noch was zu erledigen.«
    »Ich weiß.« Jorinde bewegte sich nicht. »Der Mann hinter der Hecke.«
    Matzbach seufzte. »Gibt es etwas, was dir nicht entgeht, Holdeste? Kannst du noch fahren? Gut. Hol mich doch bitte hier ab in – sagen wir, zwei Stunden?«
    Sie nickte; er gab ihr den Wagenschlüssel.
    Drei Minuten später saß Matzbach allein am Rand der Grube; er ließ die Beine baumeln, trat einmal gegen den Sarg, zündete die erloschene Zigarre wieder an und sah den Fackeln beim Niederbrennen zu.

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