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Matzbachs Nabel

Matzbachs Nabel

Titel: Matzbachs Nabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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Leichter Nachtwind kam auf und brachte den Duft von Geißblatt und Kompost.
    Eine der Whiskyflaschen war unberührt, die andere halb voll. Matzbach entkorkte sie möglichst laut, nahm einen Schluck und hielt sie hoch.
    »The Glendronach«, sagte er, nicht besonders nachdrücklich. Die Stimme klang dumpf zwischen Grube und Aushub, ihr Widerhall zerfaserte zwischen den anderen Gräbern. »Zwölf Jahre in einem Sherryfaß gereift. Besser als der Flachmann.«
    Der lange dünne Mann im Nadelstreifer tauchte fast geräuschlos hinter der Taxushecke auf, machte einen Bogen um das Grab, blieb stehen, betrachtete Matzbach über das Loch hinweg. Er legte den Kopf schief, als ob er lauschte; dann kam er mit breitbeinigen, wiegenden Schritten und setzte sich.
    Matzbach reichte ihm die Flasche. Der Mann nahm sie, setzte sie an den Mund und ließ mindestens hundert Milliliter vergluckern, ehe er wohlig ächzte und den Whisky zurückgab. Er hatte schütteres graues Haar, ein Netzwerk tiefer Falten und Furchen um die Augen, eine Hakennaseund einen schmalen Mund. Matzbach schätzte ihn auf mindestens sechzig.
    »Worüber wollen wir schweigen?« sagte der Mann.
    Matzbach hielt die Zigarre zwischen den Zähnen, grunzte und spielte mit dem Seil, das vor Beginn der Veranstaltung die Fackeln zusammengehalten hatte und auf den Aushub geworfen worden war. Er machte einen Knoten, legte das Seil neben sich, nahm die Zigarre aus dem Mund, nuckelte an der Whiskyflasche und räusperte sich.
    »Wenn ich sterbe, wenn ich sterbe, Hab- und Seligkeit vererbe, steckt euch Klammern auf die Nasen«, sagte er.
    Der Mann hustete. Er zog ein Päckchen Marlboro aus der Hemdtasche, nahm eine Zigarette in die Hand und ergänzte das Osiris-Zitat:
    »Und verteilt mich unterm Rasen, demontiert zu kleinen Fetzen, daß die Würmer sich ergetzen.«
    Mit einem Einwegfeuerzeug zündete er die Zigarette an, klemmte sie in den Mundwinkel und nahm das Seil. Mit flinken Fingern löste er Matzbachs primitive Bindung und schlug eine Serie komplizierter, kunstvoller Knoten hinein.
    Matzbach sog an der Zigarre, dann wieder an der Flasche. Schließlich sagte er halblaut: »Hast du ihm nichts mitgebracht, Käptn?«
    Der Mann hob die Brauen, löste die Knoten wieder, schlang neue.
    Sie saßen da, schwiegen, tranken, betrachteten die Nacht, die sich vertiefte, und den Sarg, der in der Grube alles Licht des Monds und der Sterne zu schlucken schien.
    »Anständiger Kerl«, sagte der Mann irgendwann; mit der Schuhspitze deutete er auf das letzte Behältnis des Poeten. »Und immer n guten Schluck für n ollen Suffkopp wie mich.«
    Matzbach schwieg.
    »Is n bißchen viel bei uns rumgekraxelt. Weiß nich, ob das vielleich was mit sein Tod zu tun hat.«
    »Bei uns?«
    »Klinik. Ich bin da Gärtner. Wer bis n du einklich?«
    »Matzbach. Baltasar. Bloß so dabei. Weil mich sein Kraxeln interessiert.«
    Der Mann gluckste leise. In kleinen und kleinsten Fetzen erzählte er, sein Name sei Hannes Finkele, früher Vollmatrose, »aber da is ja nix mehr los, bloß noch Liberia un Singapur un so.« Osiris habe er in irgendeiner Kneipe kennengelernt, vor Jahren, und seitdem habe man öfter zusammen einen oder zwei oder sieben gehoben.
    »Was war das mit dem Rumkraxeln?« sagte Matzbach nach einer weiteren Trink- und Schweigepause.
    Finkele legte den Kopf in den Nacken, als müsse er die Sterne zählen. »Ich kenn dich nich. Muß ich erst drüber nachdenken, Mann, ob ich dir was sag oder nicht.«
    »Ich sag’s Dittmer nicht weiter.«
    »Bah, Dittmer.«
    Die erste Flasche war längst geleert; Finkele hielt sie einen Moment in der Hand, schleuderte sie dann gegen das Sargende, aber sie brach nicht. Mit einem Knurrlaut stand er auf und verschwand hinter der Hecke, kam aber sofort zurück. Von seiner Rechten baumelte an einem kompliziert beknoteten Seil der Kadaver eines Rehpinschers, mit aufgeschlitztem Bauch. Er hielt das makabre Pendel über die Grube, machte mit der Hand etwas Ähnliches wie ein Kreuzzeichen und ließ den Pinscher samt Seil fallen.
    »Da. Andenken.«
    »Was hast du eigentlich gegen Hunde?«
    Finkele blieb stehen, nahm die halbleere zweite Flasche entgegen, trank und seufzte. »Kann ich nich leiden. Scheißenalles voll. Gab mal ne Zeit, da konnten kleine Kinder im Park krabbeln; heut nich mehr, weil se immer in Hundescheiße grapschen.«
    »Reicht nicht.«
    »Nee? Hm. Also scheißen; un das Gekläff.«
    »Reicht immer noch nicht.«
    »Mann, bistu hartnäckig.« Finkele legte den

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