Matzbachs Nabel
stattfinden. Im Dorf wußte man es ohnehin; nun hatte Genenger zwei oder drei arbeitswillige Jünglinge angeheuert, um notdürftige Aufräumungen vorzunehmen.
Daniela, die den größten Teil ihrer Weinernte bei der Genossenschaft ablieferte, experimentierte daneben immer noch mit ein paar altmodischen Eichenfäßchen und neuen Stahlbehältern. Vater Dingeldein hatte zu Beginn der 60er ein magisches Experiment gemacht und an einem Südsüdwesthang Chardonnay und Pinot Noir angepflanzt. Letztere Sorte heißt an der Ahr Blauer Spätburgunder und ist gewöhnlich; tatsächlich bewirkte die Gallisierung jedoch einen erheblich anderen Geschmack. Es war nur ein kleines Stück mit geringem Ertrag, aber den hier gewonnenen Wein baute auch die Tochter noch selbst aus, für den eigenen Gaumen und den von Freunden und ein paar Stammkunden.
Bei besonderen Anlässen wie Todesfällen, Grippe, Unlust oder akuter Liebelei konnte Daniela ihre Halbtagsarbeit bei der Gemeindeverwaltung zwar absagen, aber anders als diese weitgehend erfundene Tätigkeit ließen sich wirkliche Arbeiten wie die Bestellung des Bodens nicht beliebig aufschieben. Der 1990er Wein hatte 18 Monate in den Fässern geruht und mußte in die Flaschen, um Platz zu schaffen für die anstehende Ernte. Deshalb hatte auch Daniela das Haus sehr früh verlassen und sich in ihr Kellergewölbe am Dorfrand verzogen.
Jorinde und Eugenie, mit gutem Zureden und Genengers Pistole – einer von Genengers Pistolen? – versehen, hüteten Villa Osiris, räumten auf, lümmelten sich vermutlich auf den diversen Lümmelmöbeln, lasen, redeten, sortierten Bücher und Flaschen. Matzbach beneidete sie einen Moment lang intensiv, als er den Bach entlang Richtung olle Kapolle wanderte. Dann beschloß er, statt dessen lieber an Bergners Geschäfte zu denken.
Der Ex-Major war morgens mit Matzbachs Volvo und ein paar Tausendern von Matzbachs Geld aufgebrochen, um bestimmte Dinge zu besorgen. Als Ex-NVA-Mann kenne er sich mit Waffen und Sprengstoffen aus, hatte er bei der Flüsterkonferenz hinterm Haus gesagt, und als Ex-DDR-Bewohner mit den Gesetzen schwarzer Märkte; außerdem habe er den einen oder anderen Kontaktmann in der einen oder anderen Stadt am Rhein – wie sich das im Lauf der Zeit eben so ergebe. Matzbach wollte es gar nicht genauer wissen; ihm würde es reichen, Bergner mit den gewünschten Objekten heimkehren zu sehen.
Dittmer und Elvira waren mit Wohnmobil und Fahrrad – aufgeschnallt – ganz allgemein in der Gegend unterwegs und wollten abends zum Friedhof kommen.
Yü schließlich war zu einem Morgenlauf mit Kung-fu über die Weinberge aufgebrochen – »zuviel Essen, zuviel Wein, zuviel seßhafte Zerstreuung in den letzten Tagen«. Wahrscheinlich hielt er inzwischen Danielas Hand im Gewölbe, oder sie hielt vor einem Weinfaß seinen Zapfen.
Insgesamt befand Matzbach die Situation und die Zerstreuung der übrigen für befriedigend; bei dem, was er zu tun beabsichtigte, hätte er zwar Hilfe gebrauchen können, verzichtete aber gern auf Zeugen.
Genenger hatte Wort gehalten; in der ollen Kapolle lagen die Werkzeuge, die er auf dem Weg zum Friedhof dort hatte deponieren wollen. Matzbach musterte die Kollektion, nahm das Brecheisen und ging zur Rückseite des versperrten, versiegelten Anbaus, in dem der hessische Staatssekretär einst gewohnt hatte.
Als er am frühen Nachmittag zum Dorf zurückging, waren seine zuvor eher helle Hosen und das ursprünglich hellgrüne Polohemd unter Staub und Mörtelresten zu einmütigem Khaki geworden. Er versuchte ein paar Minuten lang, seine Schrittfolge irgendwie mit den Abständen seines Magenknurrens abzustimmen, gab dies aber bald auf.
Danielas Winzerei war geschlossen; niemand reagierte auf Rufen und Klopfzeichen. Matzbach knirschte mit den Zähnen, benutzte die Finger der Rechten, um etwas abzuzählen, und schlenderte dann durch eine holprige Hintergasse zum Platz an der Kirche, wo Paulys Werkstatt und Wohnung lagen.
Die Werkstattür war verschlossen, aber nach einigem Gebrüll und etlichen Faustschlägen tauchte Yü auf. Durch die schwammige Scheibe sah Matzbach, daß der Chinese im Gehen den Reißverschluß seiner Hose betätigte, aufwärts, und ein rosa T-Shirt überstreifte.
»Störenfried, komm rein.«
»Danke, danke. Hätt ich noch ein paar Minuten warten sollen?«
»Nein, das Wichtigste ist erledigt.«
Aus einem der Hinterzimmer trat Daniela in die Werkstatt, ein wenig derangiert und nicht völlig angezogen. Matzbach
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