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Mauer, Jeans und Prager Frühling

Mauer, Jeans und Prager Frühling

Titel: Mauer, Jeans und Prager Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd-Lutz Lange
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andere als heiter! Man erzählte, daßer eigentlich Schauspieler hatte werden wollen. Das war bei seinem vehementen Vortrag durchaus glaubhaft. Erich Gebhardt, unser bester Schüler, folgte Fröhlichs mathematischen Monologen als einziger mit höchstem Genuß. Was Wunder, denn er war auch der einzige, der ihn verstand. Erich war sozusagen Mitakteur im mathematischen Drama. Wenn Fröhlich seine merkwürdigen Hieroglyphen auf den Schiefer malte, theatralisch ein paar Schritte von der Tafel zurückwich, um sein Werk zu betrachten, mit den Armen ruderte, seine Konzeption in Frage stellte, nach Zustimmung heischte, ob wohl dieser Ansatz zum Ziel führen würde, dann schielte er letztendlich immer zu Gebhardt, denn nur von dem kam eine akustische Reaktion, gab es Zustimmung oder eine Ergänzung. Wir anderen blieben textlose Statisten in diesem Zimmertheater.
    Einmal träumte mir, Mathe wäre verboten worden und alle Lehrer seien verhaftet. Glücklich wachte ich an diesem Morgen auf. Abends gab es in der Schule eine Arbeit zurück.
    »Lange: 5!«
    Ich war nahe daran aufzugeben, wollte tatsächlich wegen Mathe die Schule schmeißen. Da sagte Fröhlich in einer Rauchpause vor der Tür zu mir: »Lange! Machen Sie keinen Unsinn, Sie ziehn wir schon durch!«
    Am Tag des schriftlichen Abiturs hatte ich zu allem Unglück verschlafen. Ja, in der Jugend besaß man noch Nerven! Ich stürmte auf den letzten Drücker zu meinem mathematischen Schafott. Der Henker teilte gerade unschuldigen Blickes die Todesurteile aus. Durch die Verspätung hatte ich mich der letzten Chance beraubt: alle hinteren, einigermaßen abgucksicheren Plätze waren besetzt. Ich mußte mich in die erste Reihe begeben.
    Harmlos lag der kleine Zettel mit den Aufgaben auf meiner Bank. Ich blickte auf das schäbige Stückchen holzhaltiges Papier, sah, daß die Sätze in deutscher Sprache formuliert waren, erkannte die Fragesätze an jenem gebogenen Zeichen mit dem Punkt darunter und stellte fest, daßmeine Ahnungen mich nicht getrogen hatten: Ich hatte gewußt, daß ich nichts wußte!
    Ich hätte getrost weiterschlafen können!
    Ich bastelte kindisch an einer Extremwertaufgabe herum, ließ es nach kurzem Bemühen sein, sah in die Runde und bemerkte neidisch, daß es im hinteren Parkett zum freimütigen Austausch von Lösungsansätzen kam. Hinter mir saß mein Schulkamerad Volker Salomo. Er stärkte mich mit einem Becher Kaffee aus seiner Thermosflasche. Das war die einzig bemerkenswerte Tätigkeit in meiner Mathe-Prüfung. Zu Volker gewandt, sagte ich halblaut: »Ich gehe jetzt nach Hause.«
    »Das kannst du doch nicht machen!«
    »Ich kann mit den Aufgaben nichts anfangen. Was soll ich hier noch rumsitzen?!«
    Nach genau zwanzig Minuten legte ich mein Blatt auf das Pult, Fröhlich schüttelte den Kopf und murmelte etwas Unverständliches. Ich verließ das Zimmer und genoß Schritt für Schritt diesen für mich nun freien Tag!
    Nach Stunden kam Volker zu mir und sagte, ich hätte unbedingt bleiben sollen, man hätte sich noch gegenseitig unheimlich viel geholfen. Er war voller Zuversicht, hatte dann allerdings auch nur eine Vier. Ich bekam zwar eine Fünf, hatte aber durch mein zeitiges Gehen viel Freizeit genossen. Meine Vorzensur lautete Vier, also entschied die mündliche Prüfung über Sein oder Nichtsein.
    Nun packte mich über Nacht doch ein Rest von Ehrgeiz. Ich bimste wie verrückt, damit die zwei Jahre nicht umsonst gewesen waren. Mit ungutem Gefühl betrat ich das Klassenzimmer, doch das Wunder geschah: eine Drei!
    Ich hatte etwas entwickelt, was ich zwar nicht verstand, aber wenigstens einigermaßen richtig wiedergeben konnte. Ich hatte eine mathematische Rolle einfach auswendig gelernt.
    Fröhlich freute sich: »Na, sehen Sie, Lange! Es geht doch!«
    Zu den ungeliebten Fächern zählte auch Physik. Über»Mons«, den legendären Lehrer, der bei uns Physik gab, habe ich schon ausführlich in »Magermilch und lange Strümpfe« geschrieben. Folgendes sei hier nachgetragen: Eines Tages sagte jemand vor Schulbeginn in der mäßig besetzten Klasse: »Wißt ihr eigentlich, daß wir jetzt eine Physikarbeit schreiben?«
    Volker Salomo sagt zu mir: »Hast du das gehört?«
    »Ja, ich packe doch schon wieder ein!«
    Wir praktizierten Masse mal Beschleunigung und konnten zum Klingeln gerade noch aus dem Zimmer sausen, sahen »Mons« schon die Treppe hochkommen, versteckten uns in einer Ecke. Als er vorbei war, gingen wir in die geliebte »Kornblume«, ein damals gut

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