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Mauer, Jeans und Prager Frühling

Mauer, Jeans und Prager Frühling

Titel: Mauer, Jeans und Prager Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd-Lutz Lange
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Willen.
    Günter Behnert, Autor von kuriosen Geschichten aus dem Zwickauer Bergwerksleben, erzählte mir, wie das Vergnügen im »Muldenschloß« ablief: »Außer montags und mittwochs war täglich Tanz, eine Art Disco mit Musik vom Plattenteller. Das Besondere an diesem Tanzvergnügen war, daß es am Abend nur 3 Touren Herrenwahl gab, bei allen anderen hatten die Damen das Sagen bzw. ergriffen sie vehement die Initiative.«
    Das hätte doch die damals schon vorhandenen Feministinnen im Westen hoch erfreuen müssen! Frau nahm sich den Mann, den Frau wollte.
    »Es waren alle Jahrgänge an Damen vorhanden, einige traten allerdings nicht sehr damenhaft in Erscheinung und machten ohne viel Federlesen die Männer an. Zu Beginn des Tanzabends war jeder Tisch mit ein, zwei Frauen besetzt; und die Plätze waren auf Wochen reserviert. Einige Frauen erschienen damals auch mit einem Beschützer, der jedoch als Zuhälter fungierte. Sollte einem Mann die Dame nicht gefallen haben, die ihn zum Tanz aufforderte, so wäre ihm zu raten gewesen, dies mannhaft zu überspielen. Tanzverweigerung konnte gefährlich werden. Das traf die Ehre des Zuhälters. Nach Einbruch der Dunkelheit, also etwa ab 22 Uhr, kam es an der Wiesendammschräge der Mulde zur Pärchenlagerung.« Nur soviel: Picknick wurde dort nicht gemacht.
    Mir waren all diese Gepflogenheiten unbekannt. Ich reihte mich noch in das Heer der ordentlichen Tänzer ein, die an den Stuhl der unbekannten Auserwählten traten und dort höflich fragten: »Darf ich bitten?« Auch »GestattenSie?« war mitten im Sozialismus als bürgerliches Überbleibsel an der Tagesordnung.
    Die Ritterlichkeit ging sogar so weit, daß man nach der Bejahung den Stuhl der Dame, während sie aufstand, zurückzog, damit ihr die Bewegung des Hinterrückens erspart blieb. Diese Kavaliersgeste wiederholte sich in umgekehrter Richtung nach dem Tanz. Wenn ich eine Frau erspäht hatte, die aber, wie zu bemerken, nicht nur mir gefiel, setzte ich eine ganz spezielle Taktik ein. Näherte sich die Tanzpause für mein Gefühl dem Ende, beobachtete ich mit Argusaugen die Musiker. Sobald einer nach seiner Gitarre griff, lief ich los, so daß ich beim ersten Ton, wenn die Tänzer aufsprangen, schon am Stuhl der Vielumschwärmten stand.
    Ich fand Tanzen wunderbar, aufregend geradezu, denn wo noch konnte man, ohne Ärgernis zu erregen, eine wildfremde Frau anfassen! Hätte man auf der Straße den Arm um eine gelegt, hätte sie Zetermordio geschrien, aber so … Bei Schmusetiteln konnte man sich sogar aneinanderschmiegen, und ein erster, sanft erwiderter Händedruck ließ auf eine Fortsetzung hoffen.
    Kam man sich im Gespräch während des Tanzes näher (die jüngeren Leser werden sich das nicht vorstellen können, aber die Lautstärke der Musik ließ ein Gespräch tatsächlich noch zu!) und entwickelte sich der Wunsch, dieses fröhliche Kind im Minirock auch beim nächsten Tanz im Arm zu halten, dann nutzte ich, aus Sicherheitsgründen, sehr gern die Möglichkeit des »Vorengagierens«. Was war das?
    Ganz einfach. Man fragte die Dame: »Darf ich Sie vorengagieren?« Sagte sie ja, dann konnte man sich entspannt mit Freunden dem Gespräch hingeben, seine »Jubilar«, »Karat« oder »Inka« rauchen, bei Beginn des nächsten Tanzes lässig zum Tisch schlendern und dabei beobachten, wie sie schon drei, vier stürmische Herren mit dem Satz »Ich bin vorengagiert!« abgeschmettert hatte. Natürlich war die mündliche Zusage kein Vertrag im Sinne eines Gesetzes, den man hätte einklagen können. Es war durchaus möglich,daß die Angebetete einen der Heranstürmenden dem »Vorengagierer« vorzog und unser Mann unter hämischen Blicken der Kumpels an seinen Tisch zurückschlich. Das war allerdings äußerst unfair, und die Dame riskierte einen gewissen Rufmord.
    »Darf ich Sie an die Bar einladen?« war der nächste tastende Versuch, sich etwas näher an die Frau heranzuwagen. Wer die Dame an die Bar kriegte, der brachte sie auch meistens nach Hause. Ich selbst war kein Freund von Mixgetränken, obwohl sie sehr in Mode waren. So zum Beispiel Bloody Mary, Nikolaschka und White Lady – das klang alles nach großer weiter Welt im Glas … Auch Prärie-Oyster wurde seinerzeit am Tresen oft bestellt – heute wäre es ein sogenanntes Kultgetränk. Schon die Zutaten ließen mich den Kopf schütteln: Tomatensaft und Wodka. Auf den Tomatensaft wurde ein Eigelb plaziert, meist mit Pfeffer und Salz und einem Schuß Worcestersauce. Das war

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