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Mauer, Jeans und Prager Frühling

Mauer, Jeans und Prager Frühling

Titel: Mauer, Jeans und Prager Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd-Lutz Lange
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Plastegehäuse des Kofferradios. Fünf bis zehn Mann trafen sich dort bei Foto-Seyboth. Solche Ansammlungen waren natürlich immer ein Dorn im Auge der Ordnungshüter. »Wenn ein Toni-Wagen vorbeirollte, hielt der sofort an, fuhr auch manchmal demonstrativ auf den Bürgersteig, und die Genossen kontrollierten die Ausweise. Dann kam der bekannte Hinweis: »Macht die Musik leiser!« Und wenn wir dann so weit zurückdrehten, daß man kaum noch etwas hörte, sagten die trotzdem: »Musik leiser!« Dabei hatten wir natürlich immer schnell die Sender verstellt, wenn die Typen auftauchten.«
    Guido hampelte mit seiner Truppe herum und sprach über den Beat-Club vom letzten Samstag … von der Musiksendung im Fernsehen schlechthin!
    Das Westfernsehen weckte so manchen Traum. In jenem Beat-Club sahen die jungen DDR-Bürger herrlich verrückte Klamotten. Meinen Freund, Jungfacharbeiter in einem sozialistischen Betrieb, begeisterten damals besonders die Stiefel von den Lords.
    So ein Paar mit hohem Absatz wollte er auch unbedingt besitzen! Ein unmöglicher Wunsch mit Blick auf die volkseigene Schuhindustrie. Was machte nun so ein Fan ohne Westbeziehung?
    Er entwickelte sein DDR-Improvisationstalent, durchstöberte die Damenabteilung in den HO-Läden! Und siehe da, für 68 Mark erwarb er ein Paar Damen-Stiefel, die er kurzerhand zu lordmäßigen Beatstiefeln erklärte. Er hielt sich für den Größten und sagt noch heute mit strahlenden Augen: »Das hat gefetzt!«

West-Antennen
    »Blitz kontra NATO-Sender« hieß Ende August 1961 die FDJ-Aktion gegen den Empfang westlicher Fernseh- und Rundfunksender in der DDR. Nur ganz treue Genossen übten sich im Verzicht, die Mehrheit verfolgte selbstverständlich den »Schwarzen Kanal«. In die Wohnungen, in denen Ost-Augen Westfernsehen sahen und Ost-Ohren Westsender hörten, in die sollte nun quasi der Blitz einschlagen. Aus einer Zeitung jener Tage:
    »Preisfrage: Was ist ein Ochsenkopf?
    1. Ein Berg im Fichtelgebirge, auf dem die Bonner Ultras einen Fernsehsender zur Hetze gegen die DDR errichtet haben, oder
    2. eine Antenne zum Empfang des Westfernsehens, wie sie noch einige vom Westdrall Infizierte auf dem Dach haben, oder
    3. die volkstümliche Bezeichnung für jemand, der immer noch nicht kapiert hat, daß der ›Schwarze Kanal‹ einen Ochsen aus ihm macht? Antwort: Nicht nur eine, sondern alle drei Erklärungen treffen zu.«
    Hunderttausende DDR-Bürger hatten jene Antenne auf dem Dach. In zwei Varianten: zum einen den »Ochsenkopf«, die vertikale Version mit drei Aluminium-Stäben, die über einen Meter fünfzig lang waren und mit denen jener Berg im Fichtelgebirge angepeilt wurde. Der Empfang war sehr wetterabhängig. Bei den berühmten Überreichweiten sah man plötzlich schemenhaft »den Italiener« oder »den Tschechen«. Peilten die West-Fernsehfreunde den Brocken an, brauchten sie eine Antenne, die aus horizontalen Stäben bestand, eine Art Rechen war dann auf dem Mast installiert.
    Praktische Leute bauten sich die Westantenne selbst,kauften sich, so vorhanden im Heimwerker-Laden, die entsprechenden Aluteile; die Konstruktionszeichnungen gingen von Hand zu Hand. Weniger Geschickte ließen sich eine Antenne bauen. Da gab es auf dem schwarzen Markt diverse Handwerker, bei denen man solch Werk nebst dem etwa vier Meter hohen Mast zur Befestigung in Auftrag geben konnte. Und in manchem VEB verschwand auch Material, wurde dem weiteren Aufbau des Sozialismus entzogen. Kein Mensch nannte so etwas Diebstahl, das Material wurde lediglich »organisiert« oder »abgezweigt«.
    Jeder aufmerksame Spaziergänger konnte also beim Blick nach oben feststellen, wie viele Familien eines Hauses ideologisch nicht auf der Linie lagen.
    Bei der Ausrichtung der Antenne, die jener der Partei genau entgegenstand, mußte Präzisionsarbeit geleistet werden. Waren genügend Menschen zur Hand, lief die Sache meist so ab: Einer saß am Apparat und vermeldete die Bildqualität zu einem, der am Fenster stand. Dieser gab den Bildkommentar schon etwas lauter an jemanden weiter, der unten auf der gegenüberliegenden Straßenseite wartete und schließlich die Fakten zum Dach rief. Dort ging der kräftigste Mann ans Werk, der in entsprechender Feinarbeit den Mast drehte, bis der »Frühschoppen« mit Höfer oder »Was bin ich?« mit Robert Lembke endlich in annehmbarer Qualität genossen werden konnten.
    Ungünstige Empfangslagen gab es, außer im Dresdner Raum, dem berühmten »Tal der Ahnungslosen«, auch

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