Mauer, Jeans und Prager Frühling
Westbeziehungen kauften sich junge Leute im Berufsbekleidungsgeschäft blaue Arbeitshosen, schneiderten notfalls selbst oder sie ließen sich enge Röhren nähen. Arbeiteten die Eltern in einem sozialistischen Betrieb, hatte man vielleicht sogar das Glück, daß einem noch die Nieten in den Stoff gestanzt wurden und damit die Imitation komplett war. Als ich irgendwann meine ersten Jeans hatte – eine verloren geglaubte Patentante verhalf mir zu meinem Glück –, da waren Freude und Stolz jedenfalls groß.
Echte Jeans!
Aus dem Westen!
Es war zwar nur Stoff, aber was für welcher. Er roch exotisch, und das Blau leuchtete wie aus dem fernen Morgenland.
Als Student kombinierte ich sie mit den abgestaubten Klamotten meines Großvaters Richard. So zum Beispiel mit seinem schweren schwarzen Wintermantel mit Samtkragen und sogar mit einem Original-Gehrock. Das erschien mir immer noch modischer als die betulichen Textilerzeugnisse der volkseigenen Industrie.
Die sechziger Jahre waren ein unablässiger Kampf gegen die westlichen Einflüsse, die Partei glaubte damit Boden zu gewinnen, den sie doch täglich verlor. Obwohl durch die geschlossenen Grenzen nach 1961 für die Staatsdiener vieles einfacher wurde. Es dauerte noch Jahre, bis die Führung auf den Trichter mit »sonnidee« kam, sich bei der Jugend auch klamottenmäßig anbiederte und plötzlich einen Beschluß für »Jugendmode« faßte. Und nun sogar in der DDR die Jeans-Produktion begann. Die sogenannten »Jumo«-Erzeugnisse wurden von Jugendlichen aber meist nur belächelt. Ja, und eines Tages gab es dann sogar in den Intershops der DDR überall die gefürchteten blauen Stoffröhren des Klassenfeindes zu kaufen …
Noch ein anderes Bekleidungsstück war den Funktionären von Anfang an unsympathisch. Was nach Kriegsende die Nylons für die Frauen waren, jene geliebten Nahtstrümpfe, das waren für uns in jungen Jahren die Nylonmäntel. Meist in Schwarz, Dunkelbraun und Dunkelblau. Wir nannten sie »Natoplanen« und waren scharf auf diese Rascheldinger, die man bequem zusammenknüllen konnte. Zu jedem dieser federleichten Mäntelchen gehörte eine Mütze aus dem gleichen Material. Die setzten wir aber kaum auf, da sie den Kopf eher verschandelten.
Unbeliebt bei den Hütern der sozialistischen Prinzipien waren auch die grünen Kutten aus dem Westen, die Parkas, die damals vor allem von den revoltierenden 68er-Studenten in der Bundesrepublik getragen wurden. Mißtrauisch beobachteten deshalb die Ordnungshüter Ostler in diesem grünen Tuch. Es könnte ja sein, daß der Bazillus »Renitenz« im Stoff steckt!
Es kam oft vor, daß die Träger aufgefordert wurden, das kleine, etikettengroße schwarzrotgoldene Fähnchen abzutrennen. Denn darin fehlte schließlich das DDR-Emblem!
Musik an der Ecke
Mein Freund Guido ist in der Riemannstraße aufgewachsen. Mit seinen Freunden traf er sich am Abend an der Ecke zur Karl-Liebknecht-Straße. Mindestens ein Kofferradio war immer dabei.
»Die Plastedinger – wie die geklungen haben! Das war furchtbar!« Aber man brauchte dadurch nicht auf die geliebte Musik zu verzichten. Ein »Stern-Party« lag im Arm. »Der kam zweehundertfuffzich Mark! Das war das hohe C in der DDR. Wenn du natürlich einen Stern 4 hattest – mit Holzgehäuse, dann warst du der absolute King! Von Radio Luxemburg oder RIAS hörten wir gemeinsam die Hitparaden. Wir liebten vor allem die Stones, die Beatles. Besonders gut zu empfangen waren die Sendungen vom Deutschen Soldatensender oder dem Deutschen Freiheitssender 904.«
Beide Sender betrieb die DDR, und man versuchte erfolglos, den Hörern einzureden, daß es Westsender wären.
Der Soldatensender sollte die Bundeswehr-Kameraden beeinflussen. Beim »Freiheitssender« sagte man sinngemäß, dies wäre der einzige Sender der Bundesrepublik, der nicht unter Regierungskontrolle stehe. Das war nicht mal gelogen, denn jeder wußte, daß der Sendemast in Burg bei Magdeburg stand, produziert wurde in einem Ostberliner Funkhaus. Der Freiheitssender sendete seit 1956, seit dem Verbot der KPD in der Bundesrepublik, auf Mittelwelle. Geködert wurden die Hörer mit Musik. Im Süden der DDR war der Sender sauber zu empfangen. Vermutlich brauchte man die Schallplatten mit den neuesten Hits nicht mal im Westen einzukaufen, denn an der Grenze und aus Paketen wurden täglich zahlreiche beschlagnahmt.
So ist Guido damals also oft nach dem Abendbrot »an deÄgge gegang’«, und die Westmusik schepperte aus dem
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