Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mauer, Jeans und Prager Frühling

Mauer, Jeans und Prager Frühling

Titel: Mauer, Jeans und Prager Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd-Lutz Lange
Vom Netzwerk:
wie schnell die Zeit vergeht.«
    Die Kellnerinnen im »Corso« (Kellner gab es nicht!) schätzten ihre besondere Stellung und haben das Leben mit dem Studenten- und Künstlervölkchen genossen.
    9.00 Uhr öffnete das Café, 19.00 Uhr war leider schon Schluß. An einem Tag blieb ich einmal von früh bis abends drin, es wurde nicht langweilig. Die Intimität des Raumes ließ viele Kontakte entstehen. Man saß eng beieinander, lernte sich schnell kennen, kam ins Gespräch. Im »Corso« wurde philosophiert, politisiert, erregt diskutiert, geklatscht, geblödelt und natürlich auch heftig geflirtet. Und nie wieder habe ich so viele Witze gehört wie dort! Beispiele gefällig? Also: Ein Musikstudent will ein Zimmer mieten. Die Vermieterin weist ihn ab.
    »Musikstudent? Kommt gar nicht in Frage. Ich hatte schon mal einen Musikstudenten. Der kam zuerst sehr beethövlich, dann wurde er bei meiner Tochter mozärtlich, brachte einen Strauß mit, nahm sie beim Händel und führte sie mit Liszt über den Bach in die Haydn. Da wurde er Reger und sagte: ›Frisch gewagnert ist halb gewonnen.‹ Er konnte sich nicht brahmsen. Ja, und jetzt habenwir einen Mendelssohn und wissen nicht wo Hindemith!«
    Oder: Was ist der Unterschied zwischen Wissenschaft, Philosophie und Marxismus?
    Wissenschaft ist: in einem schwarzen, völlig verdunkelten Raum eine schwarze Katze zu fangen.
    Philosophie ist: in einem schwarzen, völlig verdunkelten Raum eine schwarze Katze zu fangen, die gar nicht drin ist.
    Und Marxismus ist: in einem schwarzen, völlig verdunkelten Raum eine schwarze Katze zu fangen, die gar nicht drin ist, aber man ruft: »Ich hab sie!!!«
    Das »Corso« verließ man quasi nie ohne einen neuen Witz: Was passiert, wenn man in der Wüste den Sozialismus aufbaut? – Zunächst nichts. Aber mit der Zeit wird der Sand knapp!
    In diesem Café habe ich auch einmal einen Spruch gehört, den ich in froher Runde in Zwickau gedichtet hatte. In Leipzig war er irgendwann angekommen. Ein Spruch in der Art der Arthur-Schramm-Zweizeiler:
    Wer liegt denn dort im Liegestuhl?
    Ein Graf? Nein, ein Arbeiter von Simson Suhl! Schramm lebte im Erzgebirge, schuf naive Spruchweis- bzw. eher Spruchdummheiten, hielt sich für einen wirklichen Poeten und versuchte unermüdlich auf der Leipziger Buchmesse, sein »Werk« bei einem Verlag unterzubringen:
    Der Kumpel aus dem Stollen kriecht,
    Glück auf, der Sozialismus siecht! Die Zweizeiler kursierten alle im Kaffeehaus, so zum Beispiel auch »Das Grubenunglück«:
    Rumpeldipumpel,
    weg ist der Kumpel! Wir sagten damals:
    Schiller, Goethe, Schramm
    sind die besten, die wir hamm!Aber die Witze waren nur eine Facette des Kaffeehauslebens. Eine andere: Das mitunter schöpferische Streitgespräch; es war im besten Sinne bildungsfördernd. Es blieb immer etwas hängen, und divergierende Meinungen schärften den Verstand. Und die Diskussionen waren ja zum Glück nie trocken. Neben Kaffee und Bier (in kleinen Flaschen gab es den Gerstensaft allerdings nur bis 12 Uhr mittags) nahm Wermut einen vorderen Platz unter unseren Lieblingsgetränken ein – natürlich HORNANO von der Leipziger Firma Wilhelm Horn. Ein Glas kostete eine Mark, und man konnte sich lange daran festhalten. Der rote Aperitif Lacour aus dem Hause Oerneclou, vielleicht von einer eingewanderten Hugenottenfamilie kreiert, kam ebenso reichlich zum Ausschank.
    Wenn das Geld nicht reichte, konnte, wer zu den Stammgästen zählte, auch mal anschreiben lassen oder die Uhr als Pfand hinterlegen.
    Wir wußten, daß so mancher Funktionär der Partei dieses »Corso« nicht mochte. Es war schon ein Stück Protest, in dem Kaffeehaus zu verkehren. Protest gegen die Tristesse an so manchem anderen Ort in der Stadt. Hier saßen auch ostdeutsche 68er. Auf der Straße hätten sich diese – vielleicht um die hundert – Kaffeehausbesucher nicht versammeln dürfen. Dort wäre wegen »Zusammenrottung« eingegriffen worden. Aber im »Corso« konnte man ihnen nichts anhaben. Unser aller kleine tägliche Demo fand im Kaffeehaus statt! Es gab in den Sechzigern in der DDR noch ein paar Reste von bürgerlicher Kaffeehauskultur. Das »Resi« in Weimar, die »Münze« in Rostock waren auch studentische Treffpunkte, doch das »Corso« war unübertroffen. Es war mehr als ein Kaffeehaus, es war ein Treffpunkt von Gleichgesinnten wie das »Jama michalika« in Kraków, das »Slavia« in Prag, das »Flore« oder »Deux Magots« in Paris.
    Und während Sartre im Quartier Latin zwischen

Weitere Kostenlose Bücher