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Mauer, Jeans und Prager Frühling

Mauer, Jeans und Prager Frühling

Titel: Mauer, Jeans und Prager Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd-Lutz Lange
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den Siebzigern besonders bleiern auf allem lasteten. Bis der Biermann-Rausschmiß wieder etwas frischen Wind ins Land brachte.
    Noch einmal Wolfgang Bruns: »Das vormals bürgerliche Milieu wandelte sich in das einer zunächst zaghaften, aber bald zunehmend selbstbewußten intellektuellen und künstlerischen Boheme im Sozialismus. Und das am helllichten Tage! Die Boheme im ersten Stock bildete sich aus jungen wie aus bereits arrivierten Künstlern verschiedener Sparten, aus Studenten unterschiedlicher Fakultäten, aus intellektuellen und gestalterischen Berufen und aus attraktiven weiblichen Wesen. Die Unterhaltungen waren frank und frei, man sprach alles aus, was gedacht wurde. Und es wurde gedacht: literarisch, politisch, künstlerisch. Über Östliches und Westliches. Und natürlich gab es Klatsch in Hülle und Fülle. Das Gartencafé im Sommer gab dem ›Corso‹ das Ambiente eines sonnenüberstrahlten Boulevards.«
    In meinem Tagebuch aus dem Jahr 1966 fand ich eine Eintragung, daß ich am 21. Mai mit Monika Woytowicz im Kaffeehaus geplaudert habe. Bestimmt habe ich ihr erzählt, daß ich Gedichte schreibe, denn »Mußte ihr ein Gedicht übers ›Corso‹ schreiben, sie zeichnete mich inzwischen auf die Marmortischplatte«.
    Einer, der zu den letzten Bohemiens im Leipzig der sechziger Jahre zählte, zeichnete im »Corso« auch ab und an auf die Marmortischplatte: der Maler Günter Glombitza, derwie die Maler-Brüder Hartwig und Wolfram Ebersbach aus meiner Heimatstadt Zwickau stammte. »Glombi«, so wurde er nur genannt, war ein lebensfrohes Unikum mit mächtigem Schnauzbart. Er lief oft mit einem großen Zimmermannshut durch die Stadt, manchmal mit Schal – Schottenmuster mit echten Löchern, die durch geschicktes Drapieren des Stoffes nicht zu sehen waren. So glich er einem Maler aus dem Paris der Jahrhundertwende, denn die Impressionisten spazierten in ähnlicher Aufmachung durch die Straßen. Von Beruf war Günter Glombitza Tischler, hatte wohl auch eine Zeitlang auf dem Bau gearbeitet, und wenn ihm bei der Diskussion an munteren Zechabenden die Argumente ausgegangen waren, dann hat er auch mal zugehauen. Es ist kurioserweise in Malerkreisen nicht ganz selten, daß unter Alkoholeinfluß statt eines Argumentes gern ein kräftiger rechter Haken eingesetzt wird. Das paßte so gar nicht zu »Glombi«, der in der DDR eher den Ruf eines Romantikers hatte. »Junges Paar« nannte er sein Bild eines Liebespaars mit Lilie und Motorrad. Dieses Gemälde verhalf ihm zu einem gewissen Ruhm und war sogar auf einer Briefmarke abgebildet.
    Wenn von »Glombi« ein Foto in einer Zeitung abgedruckt war, dann klemmte er die unter den Arm und steuerte das »Café am Peterssteinweg« an. Er setzte sich an einen Tisch; sah ihn einer der Gäste an, meinte er: »Sie kennen mich wohl?«
    »Äh, nein …«
    »Doch, Sie kennen mich sicherlich, gucken Sie mal hier … hier bin ich in der Zeitung abgebildet.«
    Kündigte »Glombi« Feten an, wurden die oft unter ein besonderes Motto gestellt. Guido Brüssow erinnert sich an das Thema »Gespenst«. Dann mußte natürlich jeder als Gespenst ankommen und ein Bettlaken oder anderen Stoff dafür opfern.
    »Das Bier war beizeiten alle, und wir sind dann mit Milchkannen und Emailleeimern (!) in die ›Schmiede‹ gezogen, um Bier zu holen. Natürlich im Kostüm!«
    Einige Maler benahmen sich bei den Parties tatsächlich wie »Junge Wilde«. Hartwig Ebersbach erzählte mir, daß »Glombi« bei einer Fete davon sprach, er habe bei der Armee Judo gelernt, der Maler Zander wiederum sagte, er könne fechten. So haben zwei Betrunkene einen Schaukampf veranstaltet, und »Glombi« hat Zander schließlich – natürlich unabsichtlich – den Oberarm gebrochen.
    Für Ebersbach wurde es noch gefährlicher: »Mich haben sie mal in der Wohnung von ›Glombi‹ im Suff in einen Teppich gerollt, mit Schnaps übergossen und angebrannt.«
    Zum Glück hat nur der Teppich Schaden genommen.
    Gefährliche Spiele. Wüste Feten. Happenings der verrückten Art – mitten in der DDR.
    Es wird auch erzählt, daß Glombitza sich den Meisterschüler bei Heisig verspielt habe, weil er ihn zum Grafikfasching im Suff beschimpfte. Ausraster wie dieser rührten wohl auch von finanziellen Problemen her, und die plagten Günter Glombitza häufig.
    Manches Honorar für ein Auftragswerk war schon versoffen, obwohl das Bild noch gar nicht gemalt war. Aber in einem sind sich alle, die ihn kannten, einig: »Er hatte was droff.«
    All

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