Mauer, Jeans und Prager Frühling
vorwiegend in den zwanziger Jahren nach Deutschland gekommen waren. Am Ostplatz firmierte der Gebrauchtwarenladen Cheng. Es gab nach dem Krieg in der Messestadt sogar noch einen Chinesischen Verband der Kaufleute. Das Kaffeehaus Chekiang in der Karl-Liebknecht-Straße existierte in entsprechender Ausstattung bis Anfang der sechziger Jahre, ehe dann die HO das Café am Peterssteinweg daraus machte.
Während eines Praktikums im damaligen Karl-Marx-Stadt entdeckte ich sogar ein Café Peking. Ein Mao-Bild hing zu Zeiten an der Wand, als sich das Verhältnis der Sowjetunion – und damit auch das der DDR – zum Riesenreich des Ostens merklich abgekühlt hatte … All das waren, wie auch einige griechische Pelzhändler in der Messestadt, letzte Zeugen internationalen Lebens, das es vor dem Krieg gegeben hatte.
Zurück zum Leben in der Fachschule. Eines Tages standenContainer im Garten. Alle Studenten waren zu einem Subbotnik aufgefordert. Zerlesene und »veraltete« Literatur polterte in die Metallbehälter. Ein Dozent drückte mir mehrere dunkelblaue Bibliotheksbände, eine Werkausgabe von Georg Lukács, in die Hand. Ich habe diese Bücher sofort ins Gebüsch veruntreut und – als die Luft rein war – nach Hause mitgenommen. Später habe ich damit zwei Literaturwissenschaftlern eine große Freude machen können. Sie hatten ihren Kollegen gegenüber Vorlauf, denn die mußten warten, bis die Arbeiten des inzwischen rehabilitierten Lukács in der DDR wieder verlegt wurden.
Im April ’68 fand ein sogenannter Volksentscheid über die erste »sozialistische Verfassung der DDR« statt. Wir Studenten sollten vorher die Leute informieren und agitieren. Wir bekamen bestimmte Häuser zugewiesen und zogen los. Ich ging mit Doris Schmidt. Auf der Treppe eines Hauses in der Georg-Schwarz-Straße kam mir die Erleuchtung: »Sag mal, die können doch nie nachprüfen, ob wir wirklich in den Wohnungen waren?«
»Nee, nachprüfen können die das nicht.«
Und schon saßen wir im Kaffeehaus.
Für den Tag des Entscheides verkündete ich die Zustimmungs-Prozentzahl. Ich habe mich um 0,5 Prozent verschätzt. Es gab nur 94,5 Prozent Ja-Stimmen.
1968 diskutierten wir natürlich auch mit unserem ML-Dozenten über die geplante Zerstörung der Universitätskirche. Ö., ein ehemaliger NVA-Offizier, war ein Dogmatiker von altem Schrot und Korn, hatte aber immer etwas Bammel vor unseren Fragen. Ich forderte in der Aussprache eine Volksabstimmung.
Er blickte mich schockiert an, trat reflexartig einen Schritt zurück vor dieser Ungeheuerlichkeit. Zum Glück befand sich unmittelbar hinter ihm eine Wand, die ein Straucheln verhinderte. Ich weiß nicht mehr, was er mir darauf erwiderte, aber es wird wohl in der Art gewesen sein, daß zum Wohle des Volkes doch schon die besten Kandidaten darüber befunden hätten.
Einen FDJ-Sekretär mußten wir auch wählen. Unsere ganze Klasse war in dieser Beziehung absolut lasch und desinteressiert. Nicht eine einzige Studentin und keiner von uns drei Studenten hatte mit dieser DDR politisch etwas am Hut, niemand war eifriger Parteigänger des hier praktizierten Sozialismus. Als es an die FDJ-Wahl im neuen Studienjahr ging, meinten wir alle treuherzig, daß Sabine Kaufmann ihre Arbeit so großartig gemacht hätte, daß wir ihr ein weiteres Jahr unser Vertrauen schenken wollten. Keiner hatte Ambitionen, dieses ungeliebte Amt zu übernehmen. Nun kam aber Protest von Sabine, sie würde nicht mehr zur Verfügung stehen. Auf unser Nachfragen erhielten wir die für uns logische, aber für unseren Direktor schockierende Mitteilung: »Ich bin nicht in der FDJ und soll auch noch die ganze Arbeit machen!« Der Direktor wurde blaß und flüsterte: »Wenn das der ›Eulenspiegel‹ erfährt!«
Sabine Kaufmann wurde von ihrem Amt entlastet, ein FDJ-Mitglied übernahm das Amt.
Mein Zimmerkumpel und Banknachbar Fritze hatte mal ein paar Semester an der TU Dresden studiert. Ein Mathe-As, das einzige in unserer Klasse. Allerdings bemerkte ich schon bei der ersten Arbeit, daß unser Meister ein Problem hatte: in seiner Genialität unterliefen ihm einfachste Faselfehler, so daß dann plötzlich zwei mal zwei sechs ergab oder vier plus sieben dreizehn. Das war meine Chance! Die bescheidenen Grundrechenarten beherrschte ich, bemerkte sein Verhakeln im mathematischen Unterholz, bügelte das für ihn aus und rettete ihm damit die Eins. Mir selbst wäre diese Note, bei meiner angeborenen Matheschwäche, peinlich gewesen, drum
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