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Mauer, Jeans und Prager Frühling

Mauer, Jeans und Prager Frühling

Titel: Mauer, Jeans und Prager Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd-Lutz Lange
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diese Geschichten aus den Ateliers, von den Festen, wurden natürlich brühwarm am nächsten Tag im »Corso« erzählt. Von den heute bekannten Malern und Grafikern, die damals noch Studenten waren, verkehrte eine ganze Reihe im Kaffeehaus im Gewandgäßchen, ob sie nun Biedermann, Brendler, Ebersbach, Gille, Hachulla, Peuker, Richter, Ruddigkeit, Wagner, Sylvester oder Zimmermann hießen.
    Lothar Otto, später ein anerkannter Cartoonist, hat in seiner studentischen »Corso«-Zeit vor allem von Wodka und Hansa-Keks gelebt. Und es ist trotzdem etwas aus ihm geworden!
    Rolf »Rolli« Hoffmann (der Vater vom stadtbekannten Kabarettisten Meigl), der einen Lottoladen am Waldplatz führte und dem es materiell recht gut ging, auch wegen diverser»Gaubeleien«, hatte ein Faible für Künstler. Er saß oft im »Corso«, gab dann zum Fasching den Maler-Studenten Kaffee und Pfannkuchen aus und riskierte mit der Besitzerin, Frau Fischer, auch mal ein Tänzchen.
    Die Maler hielten unter den Kaffeehausgästen Ausschau nach Modellen, entdeckten mitunter eine junge Dame, die sie ansprachen. Professor Heinz Wagner hatte ebenfalls Glück gehabt und im »Corso« eine wohlgeformte Krankenschwester gesehen und später gemalt. Das Bild hing irgendwann in einer Ausstellung, und eines Tages nahm ein Mann aus Schweden mit ihm Kontakt auf: »Herr Professor, gibt es dieses Mädchen wirklich?«
    »Natürlich.«
    »Können Sie mir helfen, ich möchte wissen, wo ich sie erreichen kann.«
    Wagner vermittelte den Kontakt, und Monate danach bekam er eine Hochzeitseinladung aus Schweden!
    Sie war über den Akt, also quasi über ihre Nacktheit, ins Paradies gekommen!
    Hartwig Ebersbach war Stammgast im »Corso«: »Ich habe mein Stipendium gleich am ersten Tag ausgegeben. Danach verdiente ich mir Geld auf dem Güterbahnhof Leipzig dazu. 30 Mark in der Nacht, und hab dann schnell wieder alles mit Modellen verzecht.« Er kam aus einem Dorf bei Zwickau. »Ich versuchte mir meine Lebensräume zu öffnen.« Das »Corso« war da ein guter Einstieg. Als große Künstler sahen sie sich natürlich alle.
    »Der große Künstler ist man am Anfang. Dann läßt man Federn, man kommt in den Wettbewerb. Es wird richtig harte Arbeit, und dann hört meist der Genius auf. Oder man muß den Größenwahn durchhalten. Künstler sind Kinder geblieben. Die Malerei ist ihr Spielzeug. Das darf man ihnen nicht nehmen.«
    Die Dozenten der Hochschule für Grafik und Buchkunst hatten in jener Zeit ihren Stammtisch in der Moccabar des Ringcafés. Da saßen dann montags und samstags Maler wie Heisig, Mäde, Mattheuer, Tübke, Wagner. Sitte stieß ausHalle dazu, weil dort ein solcher Stammtisch nicht existierte.
    Ruddigkeit war der jüngste in diesem Kreis: »Es gab eine angenehme Bardame, die schrieb auch mal an und machte dann eine Monatsrechnung. Man konnte sogar trinken, wenn man kein Geld hatte … was damals bei mir oft das Normale war. Sie beschiß auch mal, aber liebenswert.«
    Ein sehr praktischer Grund für die Existenz vieler Maler in Leipzig waren die Messen. Die Künstler verdienten bei der Gestaltung der Hallen und Stände zweimal im Jahr ein paar tausend Mark. In diesen Wochen blieben dann ihre Kaffeehausstühle leer.
    Wie ein Lauffeuer verbreitete sich eines Tages im »Corso« eine Episode, die mit dem Stammgast Lutz Lippold zusammenhing. Was war passiert? Paul Fröhlich hatte auf dem Messegelände vor der Eröffnung einen Kontrollrundgang gemacht, die sogenannte »Abnahme«. Die Partei hatte in den Sechzigern bekanntlich eine starke Antipathie gegen Vollbartträger. Das war westlicher Individualismus, alle Hinweise auf Marx nützten nichts. Bei der Ausgestaltung einer Halle war Lutz Lippold auf einem großen Foto in ganzer Pracht mit seinem sehr gepflegten Vollbart zu sehen gewesen. Ein Blick von Fröhlich, und sofort befahl er: »Der Mann mit dem Bart muß weg!«
    Diese Anekdote wurde natürlich im »Corso« in ihrer Doppeldeutigkeit gern kolportiert. Ausgerechnet Fröhlich, der den Mann mit Bart in Berlin über alles verehrte, sagte solch einen Satz.
    Lippold war der Held des Tages und genoß seinen Ruhm! Einer der großen »Corso«-Gänger war »Hitler«. Ein Gebrauchsgrafiker, dessen dunkle, allerdings längere Haare ihm schräg in die Stirn fielen und der deshalb in Leipzig, mitten in der DDR, tatsächlich überall so gerufen wurde. Es konnte passieren, daß jemand die Tagesbar bodega betrat, sich kurz im Raum umsah und anschließend den Barkeeper zum Erstaunen

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