Mauer, Jeans und Prager Frühling
ein Stück Heimat.
Friedrich Torberg, der unschlagbare Anekdotensammler des alten Österreichs, verstand das Kaffeehaus schon vor über zwanzig Jahren »als geistigen Raum eines untergegangenen Lebensstils«. Wir alten »Corso«-Gänger haben uns davon noch eine Ahnung bewahrt. An der Gewandgäßchen-Seite der Galeria Kaufhof sollten wir deshalb an jener Stelle für eine kleine Gedenktafel sorgen. Wir sollten dafür Sätze von der Leichtigkeit des Seins in schwierigen Zeiten finden. Und daß hier in der DDR das letzte Haus in der Tradition der großen deutschen Kaffeehäuser stand. Kein »Romanisches«, aber ein sehr romantisches, liebenswertes »Leipziger Café Größenwahn«. Im Café Corso wurden Träume geträumt, Projekte geschmiedet, es wurde über nicht gemalte Bilder gesprochen oder über Manuskripte in der Schublade. Und als man manche Schublade später aufzog, war sie leer.
In diesem Kaffeehaus sammelten sich Menschen, die sich etwas zu sagen hatten, und freilich auch Leute, die sehr interessiert waren, das zu hören!
Natürlich wußten wir, daß es im »Corso« auch Stasi-Spitzel gab. Sätze wie »Der soll bei der Stasi sein!« fielen da und dort. Doch wir waren jung, und uns schreckte das nicht.Wenn ich mich an einem der Tische niederließ, habe ich nie darüber nachgedacht: Wer könnte von den Gästen um mich herum ein Spitzel sein.
Bei den Recherchen zu diesem Buch habe ich mich an die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik gewandt, um Unterlagen einzusehen, die mir Auskunft zur Überwachung des Café Corso geben können.
Einige bekannte Kaffeehausgänger, mit denen ich dort manches Gespräch geführt hatte, sah ich nun auf dem Paßbild ihrer IM-Akte wieder, und wenn ich sie heute in der Stadt treffe, dann ist ihnen eins gemein: sie kommen alle mit strahlendem Gesicht auf mich zu.
»Hitler« war auch IM. Allerdings fand ich in seiner Akte mehr Quittungen über Geldzahlungen als Berichte. Aber umsonst wird er nichts bekommen haben. Absurd wird es, wenn in der Akte von »Hitler« der Bericht eines anderen IM abgeheftet ist. So findet sich darin die Mitteilung eines Spitzels, daß »Hitler« im »Corso« einen politischen Witz erzählte habe.
Ob sich Stasi-Leute untereinander auch politische Witze erzählten? Haben sie darüber gelacht? Zum Beispiel über den:
»Walter und Lotte gehen auf der Straße spazieren, wobei sich Walter nach jedem jungen Mädchen umdreht. Lotte sagt: ›Wenn du dich noch einmal nach einem Mädchen umdrehst, hau ich dir den Schirm über den Kopf.‹
Beim nächsten Mädchen dreht sich W. wieder um, und L. haut zu. Ein Mann, der das sieht, läuft hin und haut ebenfalls zu. Darauf sagt L.: ›Aber mein Herr, wie kommen Sie dazu, meinen Mann zu schlagen?‹ Der sagt: ›Ach so, ich dachte, es geht los.‹«
So viel aus dem Bericht des GI »Harry« an Ltn. Köhler über einen Besuch im Café Corso.
Alle in den »Corso«-Akten Angeschwärzten wurden natürlich, wie die Bestimmungen es verlangen, von der Stasi-Unterlagen-Stellegeschwärzt. Das Material böte reichlich Stoff für ein Extra-Buch.
Die folgenden Ausschnitte aus IM-Berichten und Protokollen sind nur ein paar Streiflichter, wie sich das Kaffeehaus im Gewandgäßchen in der Optik der Staatssicherheit zeigt. Orthographie und Zeichensetzung dieser und aller folgenden Zitate aus Stasi-Unterlagen werden originalgetreu wiedergegeben.
Aus einem IM-Bericht:
Zu den Gästen die am Montag das Cafe besuchten, gehörten ■■■■■■■ mehrere enge Bekannte von ■■■■■■■ und ■■■■■■■ ferner ■■■■■■■ dazu ■■■■■■■ .
Am Mittwoch gehörten weiterhin zu den Gästen eine Gruppe interessant erscheinender Studenten und Schauspieler(?), die zwar zahlreiche Bekannte unter den übrigen Gästen haben, aber nur Gespräche unter sich führen. Am Mittwoch besuchten außerdem ■■■■■■ und ■■■■■■■ das Café. In einem Gespräch mit mir machte ■■■■■■■ einige unqualifiezierte Äußerungen über Prof. Havemann (er würde von unseren Organen nach Westdeutschland abgeschoben).
Aus Vernehmungsprotokollen:
Frage: Was ist Ihnen über den Handel mit Rauschgift bekannt?
Antwort: Anfang Oktober 1967 führte ich mit der ■■■■■■■ genannt ■■■■■■■ im Cafe »Corso« ein Gespräch, in deren Verlauf sie mir über den Genuß von Rauschgift berichtete. Mir
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