Mauer, Jeans und Prager Frühling
Burgplatz, in den Sechzigern abgerissen
MAO
1965 gab es in der Welt wieder einmal eine Revolution. Mitten im bevölkerungsreichsten Land der Erde – in China. Die Erhebung wollte aber nicht etwa den Sozialismus abschaffen, sondern überholte ihn rabiat links – auf Millionen Fahrrädern.
Mao hatte zur Sicherung seiner Macht die Kulturrevolution ausgerufen. Eigentlich ging es ihm dabei um eine landesweite Hexenjagd gegen Intellektuelle, die von der Linie seiner Partei abwichen. Ihre Ideen müßten »ausgemerzt« werden. Funktionäre, die nicht ergeben auf seiner Seite standen, nannte er »Menschen, die Macht haben und dem Kapitalismus den Weg bahnen«.
Für Menschen im Ostblock war das ja alles nichts Neues. Zur Erhaltung der Macht gab es in jedem sozialistischen Land von Zeit zu Zeit ähnliche Polit-Kampagnen. Die chinesische war aber von ganz besonderer Art. Die von Mao benutzten Roten Garden waren Jungen und Mädchen zwischen zehn und zwanzig Jahren. Ihr Credo: »Wir versprechen all jenen einen blutigen Krieg, die es wagen, sich der Kulturrevolution und dem Vorsitzenden Mao entgegenzustellen!«
Ihm unliebsame Landsleute wurden kurzerhand als »Kapitalistenhelfer« denunziert und waren damit der Verfolgung preisgegeben. Jung Chang erzählt in ihrem Buch »Wilde Schwäne«, wie sie jene Zeit in der chinesischen Volksrepublik erlebt hat: »Ab Juni fand an unserer Schule kein Unterricht mehr statt, dennoch mußten wir täglich hingehen. Jeden Tag wurden über Lautsprecher Leitartikel der ›Volkszeitung‹ vorgelesen, wir mußten täglich die Zeitungen studieren, auf deren Titelseiten oft ein großes Porträt des Vorsitzenden Mao prangte. Jeden Tag erschien eineSpalte mit Zitaten und Aussprüchen des Vorsitzenden in überdimensionalen Lettern: ›Der Vorsitzende Mao ist die rote Sonne in unserem Herzen!
Mao Zedongs Gedanken sind unsere Rettung.
Wir werden alle vernichten, die sich dem Vorsitzenden in den Weg stellen!‹
Das tägliche Zeitunglesen wich schon bald dem Rezitieren von ›Zitaten des Vorsitzenden Mao‹. Die Zitate waren in einem kleinen, rot eingebundenen Bändchen erschienen, dem ›Kleinen Roten Buch‹. Jeder von uns bekam ein Exemplar, und man schärfte uns ein, daß wir es wie unseren Augapfel hüten sollten. Jeden Tag lasen wir daraus im Chor vor.«
1967 wurden in China 800 Millionen Exemplare dieses Buches mit 425 Aussprüchen des weisen Führers verkauft.
Mao, seine Frau und der Verteidigungsminister mobilisierten die Schüler und Studenten zu Massendemonstrationen gegen die Bürokratie, die »Handlanger des Kapitalismus«, und gegen »bourgeoise Autoritäten«.
Die »Roten Garden« formulierten teilweise hanebüchene Forderungen: »Rot ist die Farbe der Revolution, die beste der Welt; grün ist die Symbolfarbe des Giftes: daher befehlen wir, daß binnen 48 Stunden die Ampeln so umgestellt werden, daß grün Halt, rot aber vorwärts bedeutet.«
Es ist kaum zu glauben, in manchen Städten führte die KP Chinas den Linksverkehr ein. Das war dem Kommunismus gemäß. Links voran. Als das Verkehrschaos im Land immer größer wurde, kehrte man allmählich zu den bewährten Regeln zurück.
Die »Roten Garden« verkündeten ein 23-Punkte-Programm. Darin wurde festgelegt, daß beispielsweise in allen Kinos, Theatern und Omnibussen Bilder von Mao aufgehängt werden müssen. Jeder Bürger müsse manuelle Arbeiten erledigen. Die Rotgardisten verboten Friseuren, daß sie die Kunden nach »ausländischem« Vorbild frisierten, und Mädchen das Tragen von engen Hosen.
Es wurde die Rebellion gegen Autoritäten ausgerufen,eine Revolution der Erziehung, die sich vor allem durch Drill auszeichnete. Die alte Welt sollte zerstört werden, damit eine neue entsteht – die der neue Mensch erbaut. Parolen, nichts als Parolen wurden verkündet, die aber kurioserweise im Westen (und damit ist nicht nur die Bundesrepublik gemeint) in jenen Jahren auf Widerhall stießen. Daß westdeutsche Studenten gegen Nazis in Ämtern und an den Universitäten demonstrierten – das war ja zu verstehen, aber daß sie plötzlich Mao verehrten …?! Junge Deutsche zogen dort tatsächlich mit Bildern des chinesischen Führers durch die Straßen. Wir in Leipzig rieben uns die Augen. Das durfte doch nicht wahr sein! Hatten unsere westdeutschen Kommilitonen etwa Sehnsucht nach Diktatur und Gewalt? Wir hätten nichts dagegen gehabt, mit ihnen den Wohnort zu tauschen.
Von dem übersetzten Büchel im roten Kunstledereinband, der
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