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Mauer, Jeans und Prager Frühling

Mauer, Jeans und Prager Frühling

Titel: Mauer, Jeans und Prager Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd-Lutz Lange
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Filme jeden Tag.
    Als mir irgendwann ein Westdeutscher erzählte, in der Bundesrepublik würde in den meisten Kinos vielfach nur Schund laufen, wollte ich das nicht glauben. Seit der Wende weiß ich, daß der Mann recht hatte.
    Im »Casino« verbrachte ich unzählige Stunden meines Lebens und sah die interessantesten Filme. Der »Tod in Venedig« war nur in wenigen Kopien von der DDR angekauft worden. Dieser Film hielt dort den Aufführungsrekord, er ist zwei Jahre jede Woche gelaufen. Oder »Elvira Madigan«, diese poetische Liebesgeschichte mit der immer wiederkehrenden eindringlichen Mozart-Musik, die ich selbstverständlich heute auch auf CD besitze.
    Das besondere Programm dieses Kinos prägte vor allem Fred Gehler, der den seit 1963 dort ansässigen Filmclub leitete und die »Camera«-Vorstellungen des Staatlichen Filmarchivs für Leipzig initiierte. Seit einigen Jahren ist er nun Chef der Dokumentar- und Kurzfilmwoche in Leipzig. Seinerzeit hatte er im »Roten Kloster«, der Journalistenfakultät der Karl-Marx-Universität, studiert, war dann als Assistent in Ungnade gefallen und mußte die Alma mater verlassen. Gehler schrieb für den »Sonntag«, war mit Texten angeeckt, die kulturpolitisch nicht auf der Linie lagen, und durfte dann für geraume Zeit nicht mehr für die Wochenzeitung arbeiten. Er war freischaffend, hatte gute Kontaktezum Haus der tschechischen und polnischen Kultur in Berlin und holte die neuesten Filme der östlichen Nachbarn nach Leipzig.
    Wann habe ich heute die Chance, einen Film aus Osteuropa zu sehen?
    Der Filmclub am Donnerstag galt als nichtkommerzielles Unternehmen. Jede Vorführung wurde mit einem Text von Gehler oder einem anderen eingeleitet. Es gab Eintrittskarten in drei Preisgruppen: –,70, –,90 und 1,10 Mark. Ich sah in den Club-Vorstellungen Filme wie »Messer im Wasser« von Roman Polanski, »Der Kanal« von Andrzej Wajda, sein »Asche und Diamant« wühlten uns auf. Zbigniew Cybulski war nicht nur in Polen beliebt. Unverwechselbar mit seiner dunklen Brille, die er wegen Augenproblemen tragen mußte. Ein großartiger, lakonischer Schauspieler. Er war sozusagen unser James Dean. Und er hatte mit ihm auch ein tragisches frühes Ende gemeinsam. Im Jahr 1967 kam Cybulski nach Dreharbeiten auf einen Bahnhof, wollte rasch zu seiner Familie nach Warschau; er sprang auf den Zug und rutschte aus. Er bezahlte mit seinem Leben.
    Unvergeßlich die Szene mit ihm aus »Asche und Diamant«, wo er von einem Polizisten verfolgt wird. Plötzlich ein Platz, auf dem weiße Wäsche aufgehängt ist, große Laken. Der Verfolgte ist nicht mehr auffindbar. Er hat sich in ein Bettuch gehüllt. Dann eine Hand, ein Stöhnen, er ist getroffen, auf dem Tuch wird ein dunkler Fleck sichtbar. Das weiße Laken des Todes.
    Oder die Filme aus Westeuropa, die Arbeiten von Ingmar Bergman und Luis Buñuel. »La Notte« von Michelangelo Antonioni mit Monica Vitti, Jeanne Moreau und Marcello Mastroianni. Ein Blick in den Luxus einer fremden Welt, ein Blick, der uns ganz benommen machte, aber auch zeigte, wieviel Fassade der Glanz hatte. Die Sinnlosigkeit, der Überdruß, Konflikte in der Partnerschaft, die uns noch fremd waren. Wunderbare Schwarzweiß-Bilder im Regen, verschwommene Gesichter hinter der Scheibe eines Autos,Spiegelungen im Glas. Auf einem Fest der High Society spielt die Band bluesige Melodien bis in den Morgen. Alle waren so schick gekleidet, die Damen im kleinen Schwarzen, Spaghetti-Träger liefen über ihre bloßen Schultern.
    Unsere Sehnsucht nach den unerreichbaren Städten und Ländern, nach einem anderen Lebensstil, diese Sehnsucht befriedigten wir vor allem im Kino. Wir sahen die Filme immer auch mit anderen Augen. Wir achteten nicht nur auf das Spiel der Akteure, sondern genauso auf die Umgebung, auf Paris, Rom oder New York. Wir genossen das andere Interieur, die Schaufenster, Reklameschriften, Waren im Supermarkt, eben jene Dinge des Lebens, die sich äußerlich so von den unseren abhoben.
    Wir waren damals noch nicht von einer Bilderflut überreizt, haben intensiv Kino geschaut. Vor Begeisterung vergaßen wir, daß die Dialoge der Filme oft aus einem Kabäuschen im hinteren Teil des Kinos eingesprochen wurden. Wir waren so gefesselt, daß wir alles ringsum vergaßen, auch das knarrende Gestühl. Danach wurde noch endlos über das Gesehene debattiert. Und am nächsten Tag im »Corso« noch einmal: »Den mußt du gesehen haben!«
    Zum Beispiel den hervorragenden tschechischen Film »Der

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