Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mauer, Jeans und Prager Frühling

Mauer, Jeans und Prager Frühling

Titel: Mauer, Jeans und Prager Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd-Lutz Lange
Vom Netzwerk:
denken gern an die ausgelassenen Abende, die wir als Studenten in den verräucherten Gaststuben verbrachten. Da floß das Bier in Strömen und die frische Sülzfleisch-, Blut- und Leberwurst vom Hausschlachter schmeckte vortrefflich zu den knusprigen – übrigens kostenlosen – Bäckersemmeln. Es wurde heiß diskutiert über Gott, die Welt, die Politik. Die gleich in der Nachbarschaft stationierten professionellen Langohren hatten kaum eine Chance, man kannte sich allenthalben. Der angesehene Pathologe Professor Holle tagte hier mit seinen Assistenten, der Internist Professor Zinnetz, vor allem aber der legendäre Rektor der Karl-Marx-Universität, Professor Georg Mayer.
    Der »Mayer-Schorsch«, wie er allenthalben genannt wurde, war im »Kaffeebaum« besonders oft beim Bier anzutreffen. Studenten nutzten seinen Kneipenaufenthalt, um ein »Bewerbchen« vorzubringen. Er war solchen Audienzen nicht abgeneigt, zahlte Speis und Trank für »seine Studenten« oft mit. Georg Mayer hatte ein markantes Profil, im Gesicht die berühmten Schmisse aus der Zeit, als er einer schlagenden Verbindung angehört hatte. Inzwischen war er der einzige Genosse Rektor mit dem Zeichen reaktionären Studententums. Um ihn rankten sich eine Reihe kurioser Geschichten. Die berühmteste Anekdote wurde oft an den Wirtshaustischen Leipzigs erzählt. Magnifizenz fragte im Kreise von Studenten: »Zu meiner Zeit in Gießen gab es drei Mayer, die stadtbekannt waren. Den Degen-Mayer, den Sauf-Mayer und den Weiber-Mayer. Na, was glauben Sie, wer war ich?«
    Nun sagt der erste Student: »Sie waren vermutlich der Degen-Mayer?« Mischung zwischen Kopfwiegen undKopfschütteln. »Der Sauf-Mayer?« – »Magnifizenz, Sie waren doch nicht etwa der ›Weiber-Mayer?!‹«
    »Meine Herren – ich war alle drei zusammen!«
    Bekannt war auch sein Spruch: »Ein Rektor ist ein Mann, der nichts zu verlieren hat als seine Kette.«
    Mayer, der – gelegentlich etwas zerstreut – schon einmal einen wichtigen Termin vergaß und von seinen entnervt ausgeschwärmten Referenten nach langem Suchen endlich in einer 50 Meter vom Rektorat entfernten Kutscherkneipe gefunden wurde, war nichtsdestotrotz ein universaler Geist und brillanter Redner.
    Bei jener Kutscherkneipe handelte es sich um »Köhlers Gaststätte«, die wohl schon sieben Uhr oder noch früher öffnete und den Rektor so manches Mal vor Amtsantritt sah. Der Verleger Elmar Faber: »Das hat ihm Vergnügen gemacht, das gehörte einfach zu seiner Urwüchsigkeit. Dort hat er drei Bier hintergezogen und dann kam er ins Rektorat.«
    An jener Stelle, wo einst dieser und jener Frühschoppen stattfand, wurde zu DDR-Zeiten ein sehr nüchternes Haus errichtet, in dem seither die Polizei residiert, auf trockengelegtem Terrain sozusagen.
    Zurück zu Georg Mayer und den Erinnerungen von Lutz Lippold:
    Ich kann mich noch deutlich daran erinnern, wie der Mutigste aus unserer Kommilitonenrunde im »Boom« an seinen Stammtisch trat und ihn höflichst bat, uns die Ehre einer Knobelrunde zu erweisen.
    Magnifizenz, damals schon über die Siebzig, erhob sich und landete mit einem Bocksprung über die Lehne des bereitgehaltenen Stuhls an unserem Tisch. Geknobelt wurde zwar nicht, aber wir hatten das Vergnügen eines anregenden Gesprächs ohne jedes Tabu und dank Schorschs Großzügigkeit einige Runden Bier gratis.
    Im »Kaffeebaum« saß einmal Siegfried Hillert mit Kommilitonen an einem Tisch, den der Rektor für Gäste hatte reservieren lassen. Als er kam, sprangen die jungen Leute auf und wollten sich zurückziehen. »Guten Tag, wir gehen sofort, Magnifizenz.«
    »Ah, die Herren sind wohl Studenten. Bier für meineStudenten!« Sie blieben und wurden von ihm den ganzen Abend freigehalten. War das Glas leer, rief er sofort: »Meine Studenten sitzen im Trocknen!«
    1961 bis 1964 nahm Elmar Faber als jüngster an der berühmten Stammtischrunde im »Kaffeebaum« teil. Er war damals Redakteur der Wissenschaftlichen Zeitschrift, die der Rektor herausgab. Faber mußte auch die Reden von Magnifizenz vorbereiten: »Ein reichhaltiges, teilweise quälendes Kontrastprogramm. In einer Woche ging es um 150 Jahre Deutsche Burschenschaften in Jena, in der anderen um ein Hegel-Kolloquium. Ich lieferte die Grundlage, und er machte dann seine freie Rede daraus.«
    Das war schon eine besondere Runde, die sich dem jungen Genossen Elmar Faber dort im »Kaffeebaum« bot: Da saß neben dem Rektor der Inhaber von Elektro-Wolle, einmal im Monat kam sogar

Weitere Kostenlose Bücher