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Mauer, Jeans und Prager Frühling

Mauer, Jeans und Prager Frühling

Titel: Mauer, Jeans und Prager Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd-Lutz Lange
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erstürmten, intonierte Christof Rüger das Motiv »Ich bin der Prodekan …«. Professoren-Szenen tauchten über viele Jahre in unseren Programmen auf, wurden unser Erkennungszeichen:
    »Herr Kollege!«
    »Herr Kollege!«
    »Na, was macht die Wissenschaft?!«
    »Ach, komme vor lauter wissenschaftlicher Arbeit nicht zu wissenschaftlicher Arbeit!«
    »Wem sagen Sie das! Habe da übrigens …«
    Und nun wurde das entsprechende Thema abgehandelt. Christian Becher hatte für unser erstes Programm einen Text geliefert, der sich als Evergreen herausstellen sollte und bis zum Ende der DDR aktuell blieb. »Der Erlkönig« ritt immer wieder über die Bühne, melodramatisch untermalt mit Musik von Franz Schubert, die Christof Rüger perfekt auf dem Piano zauberte. Christian »Grischa« Becher gab die Theorie, Gunter Böhnke die Praxis, und ich war das arme Studentlein.
    Theorie
    Ich reite mit dir durch Sturm und Wind, so wie der Vater mit seinem Kind. Ich laß dich Studenten nicht aus dem Arm, ich lasse nicht locker, dich halt ich mir warm. Student, was birgst du so bang dein Gesicht?
    Student
    Siehst, Theorie, du die Praxis nicht? Ich bin gegen die Praxis nicht immun.
    Theorie
    Du bist bei mir, sie kann dir nichts tun!
    Praxis
    Willst, feiner Studente, du mit mir gehn? Ich will dich in der Praxis arbeiten sehn! Mit den Werktätigen an Ort und Stell! Komm, Student, ach komm doch schnell!
    Hier tauchten unsere beiden Damen als Reigen der lockenden Werktätigen auf
    Student
    Theorie, Theorie, und siehst du nicht dort die Werktätigen am Arbeitsort?
    Theorie
    Sei ruhig, bleibe ruhig, Student: Nur der ist glücklich, der die Praxis nicht kennt!
    An dieser Stelle wollte der Applaus kein Ende nehmen.
    Praxis
    Du lieber Student, komm halt dich zu mir. Ich reiß dich heraus aus theoretischem Traum, denn: »Grau ist alle Theorie und grün des Lebens goldner Baum«!
    Student
    Theorie, Theorie, und hörest du nicht, was mir die Praxis ganz leise verspricht?
    Theorie
    Student, Student, laß uns schnell gehn! Ich bin für die Praxis, doch ich will sie nicht sehn!
    Praxis
    Ich brauche dich! Du kriegst auch Gehalt! Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt!
    Der Reigen der netten Werktätigen wird nun handgreiflich
    Student
    Theorie, Theorie, jetzt faßt sie mich an! Die Praxis hat mir ein Leids getan!
    Theorie
    Student, mir grauset! Jetzt reit ich geschwind! Ich lasse nicht los, in Sturm nicht und Wind! Student! Wo ist deiner Wangen Rot? Mein Gott! Schon jetzt ist der Studente tot!
    Resonanz und Applaus waren von der Universität bis zum Großbetrieb enorm. Hier konnten alle den Widerspruch zwischen sozialistischer Theorie und Praxis verlachen. Seelenhygiene.
    Unser erstes Programm »Kein X für U« spielten wir im Ernst-Beyer-Haus. Das zweite schon im Keller vom »Dresdner Hof«. Ja, genau in jenem Keller, in den die »academixer« 1980 endgültig einzogen. Dort räumten wir 1967 ein paar Podeste und spanische Wände in die ehemalige Empfangshalle des Messehauses, in dem sich jeweils im Frühjahr und Herbst eine Messegaststätte befand.
    Ich weiß noch, wie ich vor den Vorstellungen oben imErdgeschoß in der Mensa Kalinin von Tisch zu Tisch ging und Ormig-Zettel verteilte, die für unser Programm warben. Dann sahen wir am Abend durch die Ritzen der spanischen Wände und freuten uns, wenn sich die Stuhlreihen füllten.
    Obwohl alle Mixer 1967/68 das Studium beendeten, blieben wir zusammen. Die Praxis griff sich den Theorie-Darsteller Christian Becher nach dem Studium der Wirtschaftswissenschaften und schickte ihn nach Frankfurt/ Oder, Gunter Böhnke arbeitete nach seinem Deutsch-Englisch-Studium in Berlin. Wir waren aber sehr flexibel. Fast jeder konnte alles vom andern spielen. War Gunter nicht greifbar, trat ich mit Jürgen als Professor auf. Einmal mußten wir das Programm ohne Gunter im Keller beginnen, er fehlte unentschuldigt. Wir vermuteten eine Zugverspätung und übernahmen. Mitten in einer Szene eilte er, gerade auf sein Stichwort, durch die Pendeltür in den Keller und griff sofort ins Geschehen ein. Er war aus Berlin herangetrampt und nicht so vorwärts gekommen, wie er es sich erhofft hatte.
    Jürgen Hart entwickelte nicht nur die geistige Konzeption für unser Programm, hatte nicht nur viele Ideen für die Inszenierungen, sondern konnte auch viel Phantasie beim Blödeln entwickeln und diverse Spiele erfinden. So zum Beispiel das Dichterraten. Bei einer Version stellte sich die Lösung des Schriftstellernamens über das

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