Mauer, Jeans und Prager Frühling
leichten Verbeugung.
Als ich nach Leipzig kam, trafen sich dort dienstags die evangelische und donnerstags die katholische Studentengemeinde. Der geistlichen Rüste folgte der Genuß geistigerGetränke. Die Abende der Studentengemeinde waren den Funktionären ein Dorn im Auge. Ich erinnere mich an die Vorträge des Studentenpfarrers und späteren Bischofs Johannes Hempel, der fein dosiert und verpackt kritische Bemerkungen zur Zeit nicht aussparte. Anschließend wurde gebechert nach dem alten Motto des Hauses:
Wo einst die Ritter rüstig gezecht,
da zecht sich’s noch heutigen Tages nicht schlecht;
frisch fröhlicher Sang durchhallt das Gewölbe.
Die Zeiten sind andre, der Durst ist derselbe!
Und es stimmte in den sechziger Jahren noch mancher ein altes Studentenlied an, auch der Durst war von dem früherer Zeiten nicht zu unterscheiden, obwohl inzwischen längst nicht mehr Würzburger Hofbräu, sondern Sternburg-Pils ausgeschenkt wurde. Ich entsinne mich an ausgiebige Bockbierfeste mit ausgelassener Stimmung.
Lutz Lippold, den Sie schon als letzten Bohemien von Leipzig kennen, war ein exzellenter Kenner der Kneipenszene Leipzigs. Ich füge in diesem Kapitel seine zum Glück – durch die Initiative und den sanften Druck von Nortrud »Trude« Lippold – niedergeschriebenen Erinnerungen an Leipziger Lokale ein.
Noch in den fünfziger Jahren boten die damaligen Geschäftsführer, offensichtlich konfessionell streng gebunden, immer im akkuraten Stresemann, in bestimmtem Turnus Studenten der Theologie freien Mittagstisch, was natürlich mit der Enteignung entfiel. Auch später fanden sich in dem einzigen rund um die Woche geöffneten Bierlokal der Innenstadt noch viele Studiosi ein, besonders bei der gewichtigen, mit einem unverwüstlichen sächsischen Mutterwitz ausgestatteten Christa: »Na, meine Budderblume, nähm ’mer denn ooch e Schälchen Gombodd midd?«
Damit meinte sie einen Schnaps zum Bier! Und wenn man die servierten Getränke mit einem freundlichen »Danke dir!« quittierte, entrüstete sie sich stets: »Du sollst nich immer Drambeldier zu mir saachn!«
Da an den Wochenenden aus unerfindlichen Gründen fast alleder noch vorhandenen Bierlokale in der Innenstadt geschlossen hatten, blieb der »Thüringer Hof« meist das letzte Asyl für die Dürstenden. Gemischt war dementsprechend das Publikum. Ausländer aller Kontinente und Hautfarben, ihren Internaten entflohen, Schwule, die nie ein Lokal gefunden hatten, wo sie unter sich sein konnten, notorische Sumpfhühner aller Schattierungen saßen einhellig beieinander, und es kam – jedes Jahr zur Internationalen Dokumentar- und Kurzfilmwoche, dann allerdings hermetisch abgeschirmt, damit nicht etwa unkontrolliert internationales Gedankengut auf die braven DDRler herüberschwappte – das bunte und bis in die Morgenstunden heftig diskutierende Völkchen der Filmexoten, von Christa und ihren Kollegen gar nicht gerne gesehen. »Die quatschen hier stundenlang, un dann wolln se e Joghurt. *
Von dem jahrzehntelang erlebten Nachkriegsflair des »Thüringer Hofes« ist nichts mehr erhalten – das wurde mit dem Wiederaufbau des Hauses nach der Wende »wegrenoviert«.
Vom »Kaffeebaum« dachten Unkundige oft, es handele sich um das »Café Baum«, dabei lautet der vollständige Name doch »Zum Arabischen Coffe Baum«. Es ist das älteste Leipziger Kaffeehaus und wohl das drittälteste in Deutschland. Die Barockplastik über der Tür zählt zu den schönsten Gastgewerbezeichen aus dem 18. Jahrhundert, die in Europa erhalten sind. Bekannte Leute gingen in diesem Haus ein und aus: Gottsched, Telemann, Gellert, Lessing, Goethe, Liszt und Wagner. Schumann diskutierte hier mit den progressiven Davidsbündlern.
Schon immer war der »Kaffeebaum« ein Treffpunkt verschiedener Gesprächsrunden. Der von mir 1984 gegründete Stammtisch »Gogelmohsch«, ein Kreis Leipziger Künstler und anderer, besonders an Geschichte und Leben der Stadt Interessierter, der zunächst im »Boccaccio«, dann in der »Pfeffermühle« tagte, kommt seit einiger Zeit nun gewohnt
montäglich in der »Kaiserhalle«, dem gemütlichsten Raum des Restaurants, zusammen.
Alle Generationen kehrten hier ein, reiferen Jahrgängen wurde bis in die sechziger Jahre auf Wunsch ihr Gerstensaft mit einem metallenen Bierwärmer temperiert, damit sie sich nicht den Magen verkühlten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg führte der damalige Inhaber Karl Steudel das Haus noch jahrzehntelang weiter, und wir Älteren
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