Mauer, Jeans und Prager Frühling
Gegenteil eines Wortes ein.
Also: Wer verbirgt sich hinter dem Namen Schwarzfuß … Richtig – Weiskopf. Oder Dickenmunter? … Wer ist Dickenmunter? – Ganz klar: Dürrenmatt!
Oder Jürgen lud uns zur Beugung von Städtenamen ein.
Zum Beispiel Wernigerode:
Ich wer nie gerode
Du wärst nie gerode …
Er steckte uns in jeder Beziehung mit seiner Kreativität an, wir hatten unglaublich viel Spaß zusammen. Und wenn esstimmt, daß eine Minute Lachen zehn Minuten Laufen entspricht, dann haben wir in den Jahren mit ihm mehrere Marathonläufe hinter uns gebracht.
Es gibt kein Kabarett in Deutschland, in dem die vier Gründungsmänner über Jahrzehnte zusammen spielten. Rekord! Bis zu Jürgens schwerer Krankheit standen wir vier und Katrin Hart mit »Oh, alter Männer Herrlichkeit« noch gemeinsam auf der Bühne. Jenes Programm, eine Blütenlese zum 30jährigen Bestehen des Kabaretts, das wir nur im Jahr 1996 »anläßlich« spielen wollten, blieb wegen der immensen Nachfrage jahrelang im Spielplan. Das Publikum nahm mit diesen Szenen noch einmal lachend Abschied von der DDR. Zum letzten Mal lief »Oh, alter Männer Herrlichkeit« im Oktober 2001, im April 2002 starb Jürgen Hart.
Unseren Stil beschrieb Jürgen einmal so: »Ob die ›academixer‹ einen eigenen Stil haben, ist schwer zu sagen, wenn man selbst mittendrin steht. Aber wenn sie keinen haben, so hat der folgende Merkmale: Wortbezogenheit bei möglichst genauer Figurenzeichnung; Musikalität; Formenreichtum und Ausstattungsarmut.«
Der Text stand im Vordergrund, immer auf dem Boden der Tatsachen, oft auf einem doppelten Boden. Der war nötig, um in dieser DDR Kabarett zu machen. Jürgen hatte Strategie und Taktik gelernt, Dialektik sowieso, und er wußte um die »jähen Wendungen« der Parteipolitik. Aber er mußte und wollte natürlich auch die Politik gegenüber uns Nichtgenossen vertreten. Das führte mitunter zu heißen Diskussionen am Stammtisch in der »Mixer-Kneipe«. Da stellte sich nicht immer Harmonie ein, doch wir wollten eben die Programme auch aufführen, und so waren Abstriche mitunter nötig. Unsere Konflikte trugen wir jedoch nie nach draußen, wir machten alles unter uns ab. Diese Gespräche waren letztlich wichtig, die Reibungen haben immer die Qualität unserer Programme verbessert. So gesehen haben wir schon lange vor dem Herbst ’89 im Keller einen runden Tisch praktiziert.
Wenn die berühmten Abnahmen drohten, dann gab es von Jürgen Hart wieder strategisch-taktische Hinweise. Manchmal schrieb er auch bewußt einen provokanten Satz in einen Text. Als versierter Angler hing er sozusagen einen Text-Köder an den Haken. Nach dem konnten die Dogmatik-Haie schnappen, und die restliche, wichtige Aussage war gerettet.
Vom ersten Programm an haben wir unsere Mundart zur genauen Figurenzeichnung eingesetzt. Getreu des schönen Spruches von Julian Tuwim: »Dialekte sind der Aufstand gegen die herrschende Hochsprache.«
Kneipen, Bars und Restaurants
Das Jahrzehnt zwischen 1960 und 1970 war das letzte, in dem man in Leipzig noch private altdeutsche Kneipen und Weinstuben besuchen konnte. Die staatliche Gastronomie hat sie dann entweder kaputtrenoviert oder sie verschwanden ganz von der Bildfläche.
Ich lade Sie in diesem Kapitel zu einem kleinen Bummel durch die Kneipenszene jener Jahre ein.
Unter Studenten war in den sechziger Jahren der »Thüringer Hof« sehr beliebt. Vor dem Krieg hatte das Bier- und Speiselokal wohl an die 2000 Plätze gehabt, verteilt über 16 Räumlichkeiten im Erdgeschoß und im ersten Stock. Da gab es die »Würzburger Halle« und die »Wolfsschlucht«, das »Burgverlies«, eine ehemalige »Hauskapelle«, »Die gute Stube« und wie die Kneipzimmer sonst noch hießen. Erbaut hatte Dietrich von Buckensdorf das Gebäude im Jahre 1454, irgendwann war es mit dem benachbarten ehemaligen Pflugck’schen Freihaus verbunden worden. Das Lokal war eine Hochburg vieler Studentenverbindungen, ob schlagend oder nur trinkend. Bei dem großen Bombenangriff auf Leipzig im Dezember 1943 wurde auch der »Thüringer Hof« zerstört. 1947 begann ein Teilaufbau. Die »Lutherhalle« entstand wieder. Die steinernen Säulen, die Holztäfelung und die alten, knarrenden Dielen strömten noch die Atmosphäre alter Zeiten aus. Der Geschäftsführer, Herr Sauer, ging am Abend in Schlips und Kragen durch die brechend volle Halle, deren Namen die katholischen Studenten überhaupt nicht schreckte, und grüßte alle an den Tischen mit einer
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