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Mauer, Jeans und Prager Frühling

Mauer, Jeans und Prager Frühling

Titel: Mauer, Jeans und Prager Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd-Lutz Lange
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Feierabend. Hardy nahm eine Glocke in die Hand, schlug dreimal mit einem Metallstab dagegen und sagte jeden Abend den gleichen Satz: »Meine Herrschaften, es ist Feierabend! Auch der Gast macht sich strafbar!«
    Danach erklangen noch drei Töne, und alle Trinkschwalben mußten das Nest verlassen.
    Am Stammtisch saß oft auch Altmagnifizenz »Mayer-Schorsch«. Ich nutzte die Gelegenheit, mit ihm einmal zu plaudern. Er kannte unser Kabarett und erzählte, wie er in München Kathi Kobus vom »Simplizissimus« kennengelernt habe und vor allem den Ringelnatz. Das war für mich kaum zu fassen: da saß ein Mann neben mir, der noch mit Ringelnatz geplaudert hatte. An dem Abend berichtete er mir auch, daß er einmal in der DDR verhaftet worden ist. Aber nicht aus politischen Gründen, nur aus Jux und Dollerei. Mit Kollegen hatte er bei »Pfeiffers« am Dittrichring gezecht. Zwei Männer kamen herein und wollten ebenfalls bedient werden, aber es war bereits Ausschankschluß und nur noch der Stammtisch besetzt. Die beiden moserten und beschimpften wohl gar noch den Wirt, ein Stammtischgast – Mayer-Schorsch sagte mir, er hätte sich nie vorstellen können, daß so ein kräftiger Mensch Augenchirurg sein könnte und filigrane Operationen machte –, dieser kräftige Mann packte also die zwei mosernden Typen beim Schopf, ließ wohl auch die Köpfe gegeneinanderprallen und schob sie aus der Weinstube. Die beiden waren aber bei der Stasi oder Polizei. Ein Überfallkommando verhaftete wenig später die fröhliche Runde. Der Mayer-Schorsch sah sich im Revier in der Dimitroffstraße alles eine Weile an, zückte dann seinen Volkskammerausweis, und die Genossen kamen ins Schwitzen. Übrigens wurde auch immer wieder kolportiert, daß Professor Hans Mayer in der Tschaikowskistraße versehentlich Kneipenrechnungen von Prof. Georg Mayer erhalten haben soll, die er dann jeweils an seinen Rektor weiterleitete …
    Mit 82 Jahren starb er, und in Medizinerkreisen kursierte der allseits bestaunte Obduktionsbericht: »Schorsch« war an einem Zwölffingerdarmkarzinom gestorben, seine Leber war gesund wie die eines fünfzigjährigen Antialkoholikers.
    Nicht lange nach dem Tod vom »Mayer-Schorsch« starb auch Hardy Canitz – in seiner schönen alten Kneipe. In jenen Tagen wäre vielleicht das Haus gerade noch zu retten gewesen, wenn es nicht ausgerechnet in der DDR gestanden hätte. Die Kellnerin bekam jedoch keine Gewerbeerlaubnis. Wir »academixer« versuchten wenigstens das Interieur zu retten und haben es der FDJ-Leitung der Uni für die künftige Moritzbastei empfohlen. Allein – es wurde in alle Winde zerstreut, dümpelt heute vielleicht auf irgendeiner Datsche herum.
    Das Schild »Eingang zum Schwalbennest« kam mit dem Zwanziger-Jahre-Zapfhahn in die Gewölbe der Moritzbastei. Der Versuch, die beiden ehemals nebeneinander liegenden Kneipen »Fuchsbau« und »Schwalbennest« wiedererstehen zu lassen, scheiterte. Der Rohbau steht seit Jahren in der Magazingasse und ist ein unwirtliches »Nest«.
    Übrigens: Wenn Fritz-Jochen Kopka mit im »Schwalbennest« war, fuhren wir nach der Zecherei gemeinsam mit der 15, 17 oder 27 bis zum Lindenauer Markt. Und dann passierte jedes Mal dasselbe: Wir stellten uns draußen, es gab ja noch eine Tür ins Wageninnere, in die Ecke und sangen bis Lindenau all jene Schlager, die uns im Ohr hängengeblieben waren: »Good bye, Corinna« und »Marina, Marina, Marina« und »Die Primadonna in meinem Herzen bist du, nur du allein …«.
    Dort, wo nötig, sang ich die zweite Stimme, nicht daß Sie denken, wir haben nur so schlicht geträllert. Nein, nein, das hatte schon Stil, wenn wir im Duett »Reicher Mann, armer Mann …« interpretierten: »Es ist schon späheter, späheterher, als duhu denkst …« Und diese Sangesbotschaft stimmte bei einem Blick auf die Uhr garantiert.
    Sehr gern gingen wir auch in »Pfeiffers Weinstuben« am Dittrichring.
    … eine gediegene Restauration im vollkommen erhaltenen Dekor der ersten Nachkriegszeit, mit geschnitzter Holzdecke, zwei Wandteppichen eines Karl-Hofer-Schülers, darauf bacchantische Frauengestalten (von denen die eine sechs [!] Zehen hatte), und breiten Fenstern mit allegorischen Glasmalereien. An der Wand über dem Stammtisch war eine bedeutungsschwere Inschrift ins Holz geschnitzt: »Bauen ist eine Lust, hätt’ ich gewußt, was’s kust, hätt ich’s gelust!«
    Ein Bericht über »Pfeiffers« bliebe ein Torso ohne die Erwähnung des langjährigen Kellners,

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