Mauer, Jeans und Prager Frühling
Stadt lebten. Als die Mauer kam, war er während der Schulferien gerade in der DDR und saß damit in der Falle. Nach einigen Umwegen wurde er Student an der Filmhochschule in Babelsberg. Frisch geext kam er nach Leipzig und wollte vor Studienbeginn irgendwo arbeiten. Überall suchte man Arbeitskräfte, doch mit seiner Akte hatte er keine Chance. Im »Intermezzo«, diesem fein ausgestatteten Laden, hat es schließlich geklappt.
»Wenn es in der Küche schepperte, raste der Chef sofort los, erschrak zu Tode, weil das Porzellan fürchterlich teuer gewesen war.« Der Besitzer war kein Fachmann in der Gastronomie, bald gab es finanzielle Probleme. »Wir Kellner kriegten dort viel Trinkgeld. Wenn er sagte, daß er uns am 20. nicht das Gehalt zahlen konnte, sondern erst am 30., dann machte uns das überhaupt nichts aus, eher haben wir gelacht, und das hat ihn dann besonders geärgert.«
Christoph Hein hat erlebt, wie sich der rege Handel in Leipzig auch im Leben des Servierpersonals niederschlug: »Es gab Kellner, die in dem halben Jahr bis zur nächstenMesse diverse Antiquitäten sammelten, die sie dann gegen Devisen an westliche Messegäste verscherbelten.«
Kellner lebten also für damalige Verhältnisse sehr gut im »Intermezzo«. Was man vom Besitzer nicht sagen konnte; irgendwann war er pleite, staatliche Gastronomen übernahmen das Kaffeehaus und funktionierten es zur Nachtbar um.
Sensationell war die Eröffnung einer anderen privaten Nachtbar: »Nancy« in der Mozartstraße im Musikviertel. Sehr schwierig, da hineinzukommen. Totale Gesichtskontrolle.
Der Besitzer, um den sich viele Gerüchte rankten, die sich nach 1989 mit einem Blick in die Akten auch bestätigten, besaß später ein Café in der Mädlerpassage. An seiner Seite oft ein Typ, der so aussah, als wäre er in jungen Jahren einmal Boxer gewesen. Nicht von der Statur, aber von der Nase her. Das war Felix, der Butler und Hofnarr. Manchmal trug er einen Hut mit kleiner Krempe. Er verkaufte in Bars und später in der Nikolaistraße Blumen. Von ihm kursierte folgende verbürgte Geschichte: Zur Messe weilte zum ersten Mal Otto Graf Lambsdorff in Leipzig und kam mit entsprechender Begleitung die Petersstraße entlang. Felix, der seinen Blumenstand gegenüber dem »Stadt Kiew« hatte, entdeckte den hohen westdeutschen Gast, schnappte sich einen Strauß, stürmte auf den überraschten Grafen zu und überreichte ihm die Blumen mit den Worten: »Herr Lambsdorff, ich begrüße Sie in der Reichsmessestadt Leipzig!«
Kurios war, daß in der Klostergasse, die vor Urzeiten zum Thomaskloster führte, die Gaststätte Paulaner unter diesem Namen auch in der DDR weitergeführt wurde. Das war ja nun quasi Werbung für den Klassenfeind – für Münchner Bier! Drinnen im »Paulaner« wurde natürlich längst nur Gerstensaft des volkseigenen Braukombinates ausgeschenkt, und die Kuriosität erreichte ihren Höhepunkt in der Bezeichnung HO -Gaststätte Paulaner.
Nach der Wende kam schnell wieder das echte »Paulaner«zum Ausschank. Leider wurden die unterirdischen Gewölbe – angeblich aus Sicherheitsgründen – wegrationalisiert. Wahrscheinlich rechnete es sich nicht, sie zu bewirtschaften. Nach der Übernahme des angrenzenden Lokals wurde der traditionelle Name »Altes Kloster«, zu DDR-Zeiten eine beliebte Wildgaststätte, leider zugunsten der Bezeichnung »Paulaner’s« (sehr originell!) aufgegeben.
Auch im heute noch existierenden »Zills Tunnel«, in dem es damals aber ganz anders aussah, tranken wir ab und an ein Bier. Die neobarocke Gipsdecke ist schon lange verschwunden, jene Decke unter der eine unermüdliche ältliche Pianistin den Flügel mißbrauchte, nur durch häufige Schnaps- und Zigarettenspenden war sie vorübergehend zum Schweigen zu bringen.
Als ich mit Doris und Pepe einmal im »Tunnel« zechte, kam es zu einer »Anmache« durch einen Arbeiter, der offensichtlich etwas gegen Studenten hatte, die sich seiner Meinung nach auf Kosten der Werktätigen amüsierten. Ich versuchte ihn zu beruhigen, was mir aber nicht gelang. Schließlich sollte ich mit ihm rauskommen. Ich konnte ihm glaubhaft versichern, daß ich gerade (was wirklich stimmte!) eine Blinddarmoperation hinter mir hatte und um meine Narbe fürchten mußte. Mein Freund Pepe sprang ritterlich ein und wollte sich für mich schlagen, aber als der Kampfwillige aufstand, zeigte sich, daß er Mühe gehabt hätte, überhaupt einen Schlag zu landen.
Die Tradition des Leipziger Kneipenlebens der
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