Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mauer, Jeans und Prager Frühling

Mauer, Jeans und Prager Frühling

Titel: Mauer, Jeans und Prager Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd-Lutz Lange
Vom Netzwerk:
GlasRotwein in Reichweite. Aber ein Antiquariat mit Weinausschank habe ich leider noch nirgendwo entdeckt. Wer füllt die Marktlücke … und das Glas?
    Drei solche bejahrte, gemütliche Refugien gab es auch im Leipzig der sechziger Jahre.
    Am romantischsten war es beim alten Engewald im inzwischen abgerissenen barocken »Hotel de Saxe« in der Klostergasse 9. Ich entsinne mich an viele Stunden, die ich in dem Laden im Erdgeschoß zugebracht habe. Kurt Engewald betrieb dort Kunsthandel, Buchhandlung und Antiquariat. Und ich hatte nie den Eindruck, daß es den Besitzer störte, wenn man lediglich schaute und nichts kaufte. Natürlich kamen auch vermögende Leute zu ihm und erwarben bei ihm Bildbände, Gemälde und Grafik. Aber ihm war jeder Besucher gleich lieb.
    Öffnete man die Tür, ertönte Glockengeläut, das sich erst nach einer Weile beruhigte. Ich werde nie diese Stimmung vergessen, als ich an einem kalten Wintertag, durch das Barfußgäßchen kommend, in die verschneite Klostergasse einbog, durch die Tür trat und mich diese Klänge stimmungsvoll an das nahende Weihnachtsfest erinnerten.
    Eine Atmosphäre wie in einem Roman von Dickens.
    Die alte Zeit hatte dort noch eine Bastion; die Uhr im Geschäft schien sich langsamer zu drehen. Drinnen saß der alte Engewald, ein seriöser Herr, an einem Schreibtisch, den man nach getaner Arbeit mit einem Rolladen verschließen konnte. Der Antiquar blickte auf und grüßte den Eintretenden. Er hatte langes, gewelltes weißes Haar und war deshalb dem alten Mommsen ähnlich. Stets trug er einen weißen Kittel, wirkte wie ein Professor in einem Forschungslabor um die Jahrhundertwende. Er lief in leicht gebückter Haltung durch den Laden, fragte nach den Wünschen. Die mußte man etwas lauter äußern, da sein Gehör schon sehr ramponiert war. Engewald betrieb auch einen Verleih, verborgte gegen eine kleine Gebühr Kunstdrucke an Hotels oder Gaststätten.
    Dem großen Ladenlokal schlossen sich drei hintereinanderliegendeRäume an, dort fanden immer Ausstellungen statt. Überall im Laden standen Tische mit Büchern, Grafiken, Zeitschriften und vielen Kunstpostkarten. Dort sah ich zum ersten Mal Bilder von Roland Frenzel, einem Leipziger Maler. Ich mag seine Arbeiten, die farblich sehr atmosphärischen, sehr intensiven Stadtlandschaften und Natursujets, und habe viel später einige direkt vom Künstler erworben.
    Bei Engewald sah ich auch eine Ausstellung mit Bildern von Max Schwimmer und Hermann Naumann, Maler und Grafiker aus Dresden. Schwimmer war bekanntlich einem guten Tropfen nicht abgeneigt. »Und es ging die Sage«, so erzählte mir Christiane Otto, Leipzigs kundige und universal gebildete Antiquariatsseniorin, »daß Engewald den Schwimmer einlud. Er legte auf den Tafeln alle Bücher des Meisters aus, stellte eine Flasche Wodka auf den Tisch und bat ihn, die gedruckten Zeichnungen zu kolorieren. Schwimmer schritt dann in seiner flotten Weise von Buch zu Buch, mit Rot und Gelb und was für Farben immer, und so konnte man beim alten Engewald kolorierte und signierte Ausgaben des Meisters erwerben. Engewald war der Mann, der für Kunsthandel in Leipzig zuständig war, er hatte die besten Verbindungen zu Künstlern.«
    Arnd Schultheiß war eine Zeit Meisterschüler bei Schwimmer: »Er war ein Filou. Der hat mit beiden Händen gezeichnet. In seinem Atelier roch es in den Nachkriegsjahren immer nach Wodka oder Kognak, nach Äpfeln und Chesterfield.«
    Nicht die schlechteste Duftmischung!
    Auch mit den phantasievollen Bildern von Gil Schlesinger, einem Maler, der 1955 aus Israel in die DDR gekommen war, schloß ich bei Engewald Bekanntschaft. Er übersiedelte 1980 nach München. Die Kulturpolitiker der DDR konnten mit seinen Bildern überhaupt nichts anfangen.
    Der alte Engewald hatte in den Räumen einen Freiraum für Kunst geschaffen. Selbst in Zeiten der Formalismus-Debatten. In jener Zeit der – wie es Arnd Schultheiß ausdrückt– »Revolutionskultur, die dem Zwecke der überdimensionierten Parteipolitik entsprach und Kunst zum Mitläufergewerbe degradierte, die lediglich den Sozialismus und die DDR stärken sollte«.
    Und zu welchen Preisen war damals große Kunst in jener Handlung zu erwerben …? Unvergeßlich ist mir eine Farblithographie von Otto Dix im Fenster, die für 400 Mark angeboten wurde! Damals für mich unerschwinglich. Dix ließ in Dresden drucken. Dr. Roland Jäger erinnert sich, daß er von Engewald in den fünfziger Jahren einmal zwei

Weitere Kostenlose Bücher