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Mauer, Jeans und Prager Frühling

Mauer, Jeans und Prager Frühling

Titel: Mauer, Jeans und Prager Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd-Lutz Lange
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Freund von mir erwarb für ein paar Mark eine Landschaft. Beim genaueren Hinsehen zu Hause entdeckte er, daßdie Radierung vom Künstler mit Bleistift signiert war: H. Zille!
    Der bereits erwähnte Mitarbeiter, sein Name ist mir leider entfallen, erzählte mir vor Jahren noch einiges über den alten Koehler. Er hatte das Geschäft 1918 gegründet, nach 15jähriger Tätigkeit in Leipzig, Oxford und Paris. Sein Lehrherr war seinerzeit Alexander Twietmeyer, eine Buchhändlerpersönlichkeit des 19. und 20. Jahrhunderts. Twietmeyer weckte in ihm die Liebe zum wissenschaftlichen internationalen Sortiment. Paul Koehler hatte ein gutes Gedächtnis, gründliche Kenntnisse auf vielen Wissensgebieten, einen Blick für den Wert wissenschaftlicher Arbeit, eine lebendige Beziehung zu den Schrift- und Kulturdenkmälern aller Zeiten und Völker. Dazu kamen hervorragende Sprachkenntnisse und Sorgfalt selbst im Kleinsten.
    Koehlers Fundus ging in die Hunderttausende, in den Kriegsjahren 1943/44 verbrannten über 200000 seiner Bücher und Zeitschriften. Mit unerschöpflicher Energie begann er von vorn und sah seine Aufgabe vor allem in der Auffüllung der Bibliotheksbestände. Er beschaffte einzelne schwer erhältliche Schriften, kaufte von Privatleuten, um die Schätze für andere nutzbar zu machen.
    Bis 1968, seinem 50jährigen Bestehen, hatte er über 100 umfangreiche Kataloge herausgegeben, Literatur für Historiker, Philosophen, Archäologen, Philologen, Geographen, Orientalisten usw. Paul Koehler starb in seinem 95. Lebensjahr.
    Als Legende unter den Antiquaren Leipzigs galt auch Bodo Becker, ein Original. Er handelte mit Musikalien und betrieb ein solches Antiquariat. Ich war einmal in seinem Laden in der Kolonadenstraße. Furchtbar wüst. Berge von Noten. Christiane Otto: »Der nahm jedes Fetzlein, wo eine Note drauf war, und brachte das noch an den Mann.«
    Sein Geheimnis war, daß er einen untrüglichen Instinkt besaß, wo sich in seinem Geschäft welche Partituren befanden. Er hatte ein phänomenales Gedächtnis. Nachdem der Kunde seinen Wunsch geäußert hatte, stieg er die Leiterhoch, pfiff und griff sich aus einem Packen den gewünschten Druck. Bei seinem Pfeifen handelte es sich nicht um eine Melodie, sondern um eine Art Erfolgspfiff.
    Die Fotografin Barbara Stroff sagte mir über Händler wie Engewald oder Becker: »Solche Menschen gibt es nicht mehr, mit solch einem universalen Bildungsstand.« Und sie weiß: »Bodo Becker hat manchmal auch Noten verschenkt, wenn der Musikliebhaber nicht das Geld hatte.«
    Michael Rosenthal, Inhaber der Musikalienhandlung Oelsner, erzählte, daß ihm Professor Blomstedt berichtet habe, wie er seinerzeit bei Bodo Becker eine Musikalie erwarb, nach der er in der ganzen Welt schon gefahndet hatte, etwas Außergewöhnliches. Dies bekräftigt nur den seinerzeit in Musikerkreisen üblichen Satz: »Wenn du das nirgends bekommst, mußt du zu Bodo Becker gehen.« Becker hatte übrigens bei Kurt Oelsner, dem Großvater von Michael Rosenthal, gelernt. Rosenthal über Becker: »Eine Spitzweg-Figur, ein Unikum.«
    Engewald, Koehler und Becker – drei Originale des alten Leipzig, in jeder Branche gab es eine Vielzahl solcher Unternehmer, solcher Handelstraditionen, die einmal den Ruhm der Stadt ausmachten. Bei diesen dreien setzte das System auf die biologische Lösung, andere wurden enteignet, gingen in den Westen oder der Staat verweigerte den Besitzern von Firmen, Geschäften und Lokalen die Fortführung des Gewerbes in der folgenden Generation. Die Weitergabe langjähriger Erfahrungen wurde verhindert. Vorbei.

Polen war ganz anders
    Polen war für den DDR-Bürger … was für eine Formulierung …! Kein Mensch sagte VRP-Bürger – das waren eben Polen. Wir jedoch waren nun schon einige Zeit keine Deutschen mehr, sondern eben Bürger der DDR.
    Polen also erschien uns viel freier, aufgeschlossener, es lag zwar östlicher, war aber westlicher, war für uns so etwas wie ein Frankreich-Ersatz. Wenn in Paris maxi Mode wurde, schneiderten sich die Frauen in Warschau lange Mäntel, standen die Zeichen auf mini, sah man schöne Polinnen mit den kürzesten Röcken auf der Nowy Świat promenieren. Verglichen mit der DDR wirkte das Land in kulturellen Dingen aufgeschlossener. Literatur, Theater, die Musik, vor allem Jazz, bildende Kunst – alles schien uns weniger gemaßregelt.
    Es gab Denkmäler, die wären in der DDR als zu modernistisch abgelehnt worden. Überall abstrakte Kunst, wo in unserem Land

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