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Mauer, Jeans und Prager Frühling

Mauer, Jeans und Prager Frühling

Titel: Mauer, Jeans und Prager Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd-Lutz Lange
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möglichst devisenträchtige »Messeonkels« zu beherbergen. Es wurde »rausgearbeitet«, Urlaub genommen, die Wohnung gemalert und auf Hochglanz gebracht. Die Läden waren zu Messezeiten immer etwas besser gefüllt, und jeder Leipziger hatte den berühmten DDR-Beutel parat, um sich die Chance eines besonderen Einkaufs nicht entgehen zu lassen. Durch die Gänge der Messehäuser rollten Verkaufswagen mit seltenen Köstlichkeiten: ungarische Salami, Wernesgrüner oder Radeberger Bier, Schinken in Dosen oder Gänseleberpastete.
    Der Nepp grassierte in diesen Tagen in Leipzig, es gab in den Gaststätten saftige Sonderpreise und DM-Betten in den Hotels. Die Gastronomen waren zu Messezeiten die Könige, jeder Platz war gefragt. Ohne Beziehungen und Bestellungen lief nichts. Westliche Devisen mußten theoretisch abgegeben werden, aber es fanden sich schon Mittel und Wege, dies und jenes abzuzweigen …
    Selbst der letzte Parkplatzwächter profitierte vom Mangel und hielt für Westmünzen die Hand und den Parkplatz offen.
    Wie viele Ost-West-Liebesgeschichten nahmen in Leipzig ihren Anfang! Die Pärchen trafen sich später in Prag, Budapest oder am Balaton. Und wenn die Liebe gar zu groß war, dann reisten die hübschen Sächsinnen eines Tages aus – nach München, St. Gallen oder Wien.
    »Zur Messe is in Leipzig alles andersch« – unter diesem Titel schrieb ich in den siebziger Jahren ein Lied für die »Sächsische Hitparade«, das auf der Messewelle des Senders Leipzig auf dem ersten Platz landete. Einige Leute vom Funk hatten damit aber »ideologische Bauchschmerzen«, und so wurde die weitere Ausstrahlung untersagt. Ich hatte mir nur erlaubt, die zweimal jährlich stattfindende Verwandlung von der Provinz zur Weltstadt etwas kritisch zu beschreiben. Im Refrain hieß es:
    »… Zwee Mal im Jahr is Leibzisch indernadsional.
    Dann liechd de City widder schdill, verdreimd und gahl.«
    Und über den bescheidenen Airport reimte ich:
    »Ä Fluhchblads hammer ooch zu unsern Messen,
    midd braun’, schwarzen, blonden Schduardessen.
    Die Hiehner jaach morr vorher schnell vom Fäld,
    denn in Schgeiditz landet dann de ganze Wäld …«
    Das war zu »digge«. Das Lied verschwand im Archiv.
    Von den alten Messehäusern, die das besondere Flair dieser berühmten Leipziger Mustermesse ausmachten, künden heute nur noch Namen an der Fassade, und spätere Generationen werden kaum wissen, was sich dahinter einmal verborgen hat. Ich finde es bedauerlich, daß die neuen Messemacher das traditionsreiche Gelände der Technischen Messe aufgaben, zumal dort viele Möglichkeiten der Erweiterung bestanden. Aber ich habe inzwischen gelernt, daß es in der Marktwirtschaft nicht um Traditionen, sondern um Geld geht. Es muß sich rechnen.
    Bloß: manchmal verrechnet man sich auch …

Alte Antiquariate
    Zu den romantischsten Orten dieser Welt zählen für mich Antiquariate. Ich meine nicht die nüchtern aufgeräumten piekfeinen und sauteuren Edelsortimente, sondern Läden, die ein liebenswertes Durcheinander prägt. Unaufgeräumt erscheinen sie nur dem Pedanten, der Besitzer kennt sich hervorragend darin aus. Ich meine Läden wie den vom alten Stein in Jerusalem, der aus Frankfurt am Main stammte. Oder das Antiquariat, das ich beim Bummeln mit meiner Frau im Marais fand, dem jüdischen Viertel von Paris. Mit dem alten Liebermann schwatzte ich zwischen Bücherbergen über Gott und die Welt. Und ich erinnere mich an ein verwinkeltes Geschäft in Amsterdam. Selbst auf den Stufen der schmalen Treppe in den ersten Stock, die ein gedrechseltes, weiß gestrichenes Geländer flankierte, stapelten sich noch Bücher, so daß nur ein schmales Stück für den Benutzer übrig blieb. Die Räume wirkten klein und eng wie auf einem Schiff.
    Staub stört mich in diesen Geschäften überhaupt nicht. Der gehört zur Patina solch eines verwunschenen Ortes. Dort kann ich in Minuten den Tag vergessen, tauche in die geräuschlose Welt der Buchstaben. Regal für Regal suche ich ab, hole mir einen Hocker oder eine kleine Leiter heran, um auch die höher stehenden Bücher in Augenschein zu nehmen. In allen europäischen Städten und in Israel lautet meine erste Frage nach dem Eintritt ins Geschäft: »Do you have any books in German language?« Und in jene Ecke verwiesen, stöbere ich dann mit Freude im Bestand, entdecke Bücher, die tatsächlich ihre Schicksale haben.
    Das einzige, was mir in solchen Momenten noch zu meinem Glück fehlt, wäre beim Blättern und Lesen ein

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