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Mauer, Jeans und Prager Frühling

Mauer, Jeans und Prager Frühling

Titel: Mauer, Jeans und Prager Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd-Lutz Lange
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feierte er seinen 80. Geburtstag und konnte auf 65 Jahre beruflicher Tätigkeit zurückblicken. Kein Grund zum Aufhören! Nicht für einen Antiquar mit Leib und Seele! Paul Koehler hatte natürlich auch schlohweißes Haar, trug eine randlose Brille, und wenn er saß, war er hinter Bücherstapeln fast verschwunden. Sein besonderes Markenzeichen waren zwei Bärtchen. Eines unter der Nase und eines unter der Unterlippe. Nie fehlte die gepunktete Fliege, und ein weißes Kavalierstuch lugte aus der Jackettasche unter dem Kittel. Mittags aß er oft ein Süppchen am Schreibtisch. Ging mit seinem Personal nicht gerade pfleglich um, er konnte grob sein. Ich wurde Augenzeuge, wie er einen Mitarbeiter anraunzte. Seine Stimme klang dann ziemlich knarrig und knurrig. Christiane Otto: »Der wurde im Ausdruck auch gleich mal zoologisch.«
    Eine Frau und ein Mann waren bei ihm angestellt. Die huschten wie verschüchterte graue Mäuse, das wurde durchKittel in jener Farbe unterstrichen, im Laden herum. Der Chef war vermutlich eher ein Bücher- denn ein Menschenfreund.
    Als ich im Geschäft herumstöberte, merkte ich, daß es sich um ein wissenschaftliches Antiquariat handelte, Belletristik kam nicht vor. Ein Kunde betrat den Laden und sagte: »Ich würde gern wieder mal drüben die Bücher durchsehen.«
    Die Angestellte fragte: »Welches Gebiet interessiert Sie?«
    »Philosophie.«
    Sie nahm einen Schlüssel von einem Haken und sagte zu ihrem weißhaarigen Chef: »Ich geh mal mit dem Herrn rüber.«
    Der sah flüchtig auf, nickte und widmete sich wieder seinen Büchern.
    Da mußte es also noch weitere Räume mit Schätzen geben. Am nächsten Tag suchte ich das Geschäft sofort wieder auf und meinte nach meinem Gruß zu der Frau: »Ich würde gern wieder mal drüben die Bücher durchsehen.«
    »Welches Gebiet interessiert Sie?«
    »Kunstgeschichte.«
    Die Prozedur wiederholte sich. Die Frau nahm den Schlüssel, sagte ihrem Chef Bescheid, wir verließen den Laden, liefen die Querstraße hinauf und bogen in die Gellertstraße ein. Dort gingen wir durch einen Hausflur, über einen Hof und stiegen die Treppe hoch. Die Frau schloß in einem Stockwerk, nachdem wir an Büros vorbeigegangen waren, eine Tür auf und fragte mich: »Wie lange wollen Sie bleiben?«
    Die Frage überraschte mich etwas, ich überlegte kurz und sagte dann: »Eine Stunde.«
    »Gut.« Sie nickte mir zu, schloß die Tür, und plötzlich hörte ich, wie sich der Schlüssel im Schloß drehte. Der Bücherfreund war eine Stunde im Lager festgehalten. Fünf, sechs Räume sind mir in Erinnerung geblieben, und die habe ich Regal für Regal durchforstet. Auf viele interessante Sachen stieß ich. Kunstzeitschriften der Jahrhundertwende,auch in mehreren Mappen alte Stiche und Grafik. Nach meinem Studium, als die Finanzen zwar spärlich, aber immerhin wuchsen, hab ich deshalb dort manches Stück erworben. Viele Bücher hatte schon ewig niemand mehr in der Hand gehabt. Staub überall. Gunter Böhnke erinnert sich, daß er nach kurzer Zeit beim Stöbern immer nießen mußte.
    Auf einem alten Sofa schienen neben erschöpften Bücherfreunden ab und an auch Tauben auszuruhen. Ich bemerkte ihre Spuren und hörte sie vor dem geöffneten Fenster gurren.
    Der Kauf wurde nicht am gleichen Tag perfekt gemacht. Man mußte ein paar Tage später wieder in den Laden kommen. Der alte Koehler nahm jedes Buch in die Hand, musterte den Kunden, wiegte den Kopf und sagte dann laut den Preis, der sich meist vom Ausgezeichneten nach unten bewegte.
    »Na … ein Taler?!«
    Bei ihm lernte ich, daß ein Taler drei Mark bedeutete. Und daß er viele Bücher für diesen Preis verkaufte. Als Wolfgang U. Schütte das erste Mal einen größeren Posten erwarb und der alte Koehler ebenfalls jedes Buch in die Hand nahm, seinen Kopf leicht hin und her wiegte und immer wieder vor sich hin murmelte: »Das wird teuer!« und nach einer Weile wieder: »Oh, das wird teuer«, zu rechnen anfing, da wurde es Schütte heiß und kalt, ob er überhaupt so viel Geld einstecken habe. »So … das und das und das …« Und dann verlangte der Antiquar für zehn Bücher, erschienen zwischen 1910 und 1922: »35 Mark!«
    Eines Tages entdeckte ich, in halb zerrissenem Packpapier eingewickelt, diverse Stiche aus dem 18. Jahrhundert. Ich kaufte zum Beispiel eine Radierung mit dem Bildnis von Johann Adolf Hasse, dem Hofkapellmeister vom König August von Sachsen, in einem schlichten Biedermeierrahmen für sage und schreibe zwei Taler! Ein

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