Mauer, Jeans und Prager Frühling
Dürer-Holzschnitte angeboten bekam, auch ein Liebermann-Pastell für 1200 Mark, und er weiß noch genau, daß im Fenster in der Klostergasse eine Plastik von Renée Sintenis für 1000 Mark stand. Lothar Otto sagte mir, daß er Zeichnungen von George Grosz bei Engewald gesehen habe. Und Herbert Kästner von den Leipziger Bibliophilen wird bis ans Ende seiner Tage nicht vergessen, daß er nicht die Barschaft besaß, um ein Bauernkriegsblatt von Käthe Kollwitz zu erstehen: für 60 Mark!
Auch aus den Text- und Grafikmappen »Die Schaffenden«, die von 1918 bis 1922 im Gustav Kiepenheuer Verlag erschienen waren, tauchten bei Engewald Blätter auf. Und vom »Pan«, der heute so gesuchten Jugendstil-Kunstzeitschrift, waren selbstverständlich Exemplare am Lager. Jedem Heft lagen Originalgrafiken bedeutender Künstler bei.
All das zusammenzutragen war möglich, weil der sozialistische Kunsthandel noch nicht das Monopol besaß, weil noch nicht alles in den Westen verscherbelt wurde, um Devisen für den Staat zu ergattern.
Arnd Schultheiß berichtete von einem Freund, der eine signierte Lithographie von Karl Hofer für 40 Mark erwarb; ein früher Holzschnitt von Gerhard Marcks kostete 60 Mark. Schultheiß selbst hatte 1951, kurz nach dem Studium, seine erste Ausstellung bei Engewald. Für sein Debüt wurden allerdings nicht die Ausstellungsräume geöffnet, sondern nur die Schaukästen am Haus. Mit Stecknadelnwurden darin die Blätter befestigt. Drei Wochen später kam eine Karte von Engewald, der Museumsdirektor Professor Johannes Jahn habe drei Zeichnungen für das Museum angekauft. Pro Stück 40 Mark. Das waren stolze 120 Mark. Sein 20-Quadratmeter-Atelier in Schleußig kostete monatlich 10 Mark Miete. Also hatte Schultheiß damit auf einen Schlag die Miete für ein reichliches Jahr verdient!
Engewald hatte in seiner Wohnung einige Arbeiten der Expressionisten, darunter eine Dresdner Stadtlandschaft von Oskar Kokoschka. Die Zeit der Expressionisten war auch die Zeit seiner Jugend gewesen, und er hatte erlebt, wie ihre Arbeiten von den Nazis vernichtet und von den Kommunisten als Formalismus aufs neue zurückgewiesen worden waren.
Menschen wie Engewald ging es nicht allein um Handel, sondern mehr um das Gespräch; wer interessiert war, profitierte von seinem enormen Wissen. Er hatte immer Zeit, um über Kunst und über die Messestadt zu plaudern. Der Kabarettist Siegfried Mahler erinnert sich: »Er wußte unglaublich viel über Leipzig. Er war ein wandelnder Baedeker und weit über die Stadt hinaus bekannt.« Arnd Schultheiß erzählte mir, daß bei ihm als jungem Künstler das Geld immer nur für das Nötigste reichte und er sich manchen Bücherkauf verkneifen mußte. Als das der Buchhändler Engewald merkte, sagte er zu ihm: »Nehm’ Se’s mit, lesen Sie es über’s Wochenende und bringen Sie es mir am Montag wieder!«
Und als sich die beiden einmal über die Probleme im volkseigenen Handel unterhielten, wie lange dort beispielsweise an einem Geschäft »herumrenoviert« wurde, da erzählte ihm der genaue Beobachter Engewald, wie er die Räume in der Klostergasse seinerzeit eingerichtet hatte: »Am Freitag kamen die Maler und haben die Wände geweißt, am Sonnabend die Tischler, die haben die Regale aus Fichtenholz eingebaut, am Sonntag lieh ich mir Karren der Pelzjuden, um die Bücher zu transportieren, und am Montag habe ich aufgemacht.«
Als das Hotel de Saxe abgerissen wurde, nutzte er eine Westreise, um zu bleiben. Man versprach ihm ein neues Geschäft, er kam zurück. Einige Zeit betrieb Engewald im Thomaskirchhof tatsächlich noch einmal ein Antiquariat. Aber einem Vergleich mit dem vorigen hielt es nicht stand, die Patina war verschwunden, der Zauber dahin.
In Gesprächen erinnern sich viele Kunstfreunde immer noch gern an Engewalds romantischen Laden in der Klostergasse. Sie denken an die Preise, für die sie wertvolle Blätter hätten erstehen können, und seufzen. Doch so ist das halt im Leben. Immer fehlt was. Und manchmal ist es nur – das Geld …
Eines Tages entdeckte ich in der Querstraße, Ecke Wintergartenstraße, ein Antiquariat. Nach meiner Erinnerung besaß es zu jeder Straßenseite ein Schaufenster, alles in der Auslage war ein wenig verstaubt – wie auch die Schätze im Laden. Ein paar vergilbte Drucke, die sich schon wellten, hingen an der Wand, ein eiserner Kanonenofen schaffte im Winter wohlige Wärme. In diesem Reich herrschte der alte Koehler, wie Engewald im weißen Kittel. 1965
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