Mauer, Jeans und Prager Frühling
die es in der DDR nicht gab. Und ich vergesse auch nicht, was die mutigen Bewohner dieser beiden Länder frühzeitig für Reformen und Freiheit geleistet haben.
Auschwitz
In einem Studentenklub in Kraków hatten wir Westdeutsche kennengelernt, die uns im Reisebus nach Auschwitz mitnahmen. Es war für mich eine eigenartige Vorstellung, daß wir weich gefedert und klimatisiert zu diesem Ort des Grauens fahren würden.
Der Reiseleiter sammelte während der Fahrt in einem Hut Geld für einen Kranz, der an einem Mahnmal niedergelegt werden sollte. Im hinteren Teil des Busses kam es plötzlich zu einer heftigen Diskussion. Verlegen, es war ihm sichtlich peinlich, daß wir Zeuge dieser Auseinandersetzung geworden waren, erklärte uns der Leiter und SPD-Mann, daß nicht alle bereit wären, zu geben.
Das war für mich unvorstellbar! Ich kannte in meiner Heimat niemanden, der für diesen Zweck eine Spende verweigert hätte. Aber Erlebnisse wie das geschilderte bestätigten mir letztlich, daß es in der BRD mit der Aufarbeitung des Nationalsozialismus nicht zum besten stand. Erst l963 (!) kam es in Frankfurt am Main zum sogenannten Auschwitz-Prozeß. Endlich wurden 21 Angehörige des SS-Wachpersonals angeklagt. Die Staatsanwaltschaft hatte für 16 Angeklagte wegen »Mordes in mehreren Fällen und der Beihilfe zum Mord in mehreren hundert oder mehreren tausend Fällen« 16 Mal lebenslanges Zuchthaus gefordert. Nur sechs wurden dazu verurteilt. Und wie lange saßen sie wirklich ein?
Wohl war mir klar, daß nicht alle Nazis in den Westen Deutschlands geflohen waren, einige hatten schnell die Kurve ins System gekriegt, in dem sie auf die neue Fahne schworen, aber höhere Funktionäre aus der NS-Zeit waren doch in der DDR nicht zu Amt und Würden gekommen.
Zurück zu unserer Reise: Wir rollten in unserem klimatisiertenBus einem Hauptort der Nazi-Verbrechen entgegen, und ein paar Leute der westdeutschen Reisegesellschaft gaben nichts zu einem Kranz …
Erst wenige Jahre vor meiner Reise hatte der Organisator der Shoa, des Massenmordes an den Juden, endlich vor Gericht gestanden. 1961 begann in Israel der Prozeß gegen den »Buchhalter des Todes«, Adolf Eichmann, den der israelische Geheimdienst in Argentinien aufgespürt und entführt hatte. In allen Zeitungen, auf allen Bildschirmen war er in seinem kugelsicheren Glaskasten zu sehen gewesen. Mit Hornbrille und Kopfhörer. Ab und an lief ein nervöses Zucken über sein Gesicht. Harry Mulisch hat damals den Prozeß verfolgt und schreibt in seiner Reportage »Strafsache 40/61«:
»Wer Eichmann in den letzten Wochen auf dem Bildschirm gesehen hat, weiß, daß er in das Gesicht eines Mannes geblickt hat, der fast wahnsinnig geworden ist. Augen, Mund, ja das ganze Gesicht sind dauernd in zitternder, zuckender Bewegung, aber niemals bildet sich ein ›Ausdruck‹, jede Bewegung an sich ist sinnlos, keine hat etwas mit einer anderen zu tun: der Mann ist in tausend Stücke zerschlagen. Es wird durch die völlige Ratlosigkeit des übrigen Körpers unterstrichen. Das vollzieht sich an einem Menschen, der zum Teufel erhöht wird. Das Gesicht verzerrt sich, nicht, weil ihm endlich die Abscheulichkeit seiner Taten aufgeht, sondern weil ihm nichts aufgeht.«
Manchmal wirkte er wie am Schreibtisch in Berlin, in den Akten blätternd, er spielte mit dem Kugelschreiber, sprach das perfekte Dienstdeutsch wie in seinem Büro, putzte seine zwei Brillen, richtete die Akten – Ordnung und Sauberkeit am Arbeitsplatz. Bei Fragen stand er schnell auf, eilfertig, nur daß er nicht dem Führer, sondern einem israelischen Ankläger Rede und Antwort stehen mußte. Sein »Jawoll, jawoll!« klang, als ob er sich durch die schnelle Bestätigung noch eine Vergünstigung erhoffte. Menschen brachen unter der Last ihrer Aussage zusammen,weinten, Eichmann blieb ungerührt, nur hin und wieder zuckte es im Gesicht.
1962 wurde Eichmann gehängt, seine Leiche auf einem Polizeiboot eingeäschert und die Asche im Mittelmeer verstreut.
Und nun stand ich an diesem Ort, vor diesem Tor, an dem auch er gestanden hatte, als er damals das Lager besuchte. Die verlogene Losung – nachdem ich tagelang polnische Namen buchstabiert hatte, erschrak ich plötzlich vor den drei deutschen Wörtern ARBEIT MACHT FREI .
Wie hätte das je ein Häftling glauben sollen – im Angesicht eines elektrisch geladenen Doppelzaunes …
Das Mahnmal für die Millionen Opfer dieses Vernichtungslagers war im April jenes Jahres eingeweiht
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