Mauer, Jeans und Prager Frühling
wäre immer auf. Wir parlierten mit unserem Restrussisch: »Nje sakruitch?!«
»Nje, nje.« Und zur Bestätigung zeigte sie aus dem dritten Stockwerk mit dem Finger durch die Dielen zur imaginären Haustür. Als wir nachts zurückkehrten, war die Tür natürlich zu!!!
So verschlossen, wie eine Haustür nur sein kann. Was tun?
Es war schon sehr spät. An der Türfüllung befand sich nur eine einzige Klingel. Wir waren müde und hatten bloß einen Wunsch: endlich ins Bett zu kommen! Also drückten wir auf diesen Klingelknopf. Einmal, zweimal.
Nach dem dritten Drücken ging in einem Stockwerk das Licht an. Einige Zeit darauf näherte sich, das konnten wir durch die Glasscheiben in der Haustür sehen, ein Mann im Nachthemd! Wir mußten beide grinsen, denn Männer im Nachthemd kannten wir nur aus alten UFA-Filmen. Der hier wollte uns jedenfalls zu unserem Glück verhelfen, steckte einen Schlüssel ins Schloß, und wir kamen aus dem Lachen nicht heraus, denn der Bart drehte sich auf unserer Seite. Lachend, immerhin hatten wir etwas Alkohol genossen, versuchten wir nun, den Bart mit den Fingern ins Schloß zurückzudrücken, aber die Tür wollte sich nicht öffnen lassen.
Der Mann gab uns mit Gesten zu verstehen, daß wir es mit unserem Wohnungsschlüssel von außen probieren sollten. Nun lachte er, denn der Bart kreiste auf seiner Seite.
Plötzlich war der Mann weg. Wir hofften, daß er Hilfe holen würde. Nach einiger Zeit erschien er tatsächlich mit unseren Wirtsleuten. Dasselbe Spiel. Fröhliche Menschen auf beiden Seiten, aber die Tür blieb verschlossen. Einer der drei hatte schließlich die erlösende Idee: das Haustürfensterließ sich von innen öffnen. So blieb uns nichts weiter übrig, als zu später Stunde dort hindurchzuklettern.
Wir werden nie erfahren, welcher Schlüssel im Haus es schaffte, die Tür zu verschließen und zu öffnen. Am nächsten Morgen war jedenfalls wieder aufgeschlossen.
Die Entdeckung in Kraków war das »Jama Michalika«!
Das schönste Jugendstil-Kaffeehaus, das ich je gesehen habe. Darin hatte sich um 1900 auch ein Kabarett etabliert. Bis heute sind im hinteren Raum die Möbel aus der Zeit erhalten. Mit Crassus tauchte ich ein in diese Stätte, und wir hielten uns dort ewig an einem Kaffee und einem Mineralwasser fest. Da der Kaffee türkisch serviert wurde, kamen wir auf die Idee, wir könnten uns doch heißes Wasser kommen lassen, um den Satz noch einmal aufzubrühen. Wir verwarfen den Gedanken jedoch wieder, weil die Kellnerin in Anbetracht unserer üppigen Zeche sowieso schon etwas streng dreinblickte.
Im diesem Kaffeehaus las mir Crassus vor, was an jenem 13. August 1967 in seinem Jahreskalender stand: »Die Maßnahme der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik zum Schutz der Staatsgrenzen rettet den Frieden in Europa.«
Wir lachten. Hier schien die DDR weit weg zu sein, so intensiv fühlten wir den Urlaub von Ulbricht & Co. Und ich fragte mich, ob es in unserem Land tatsächlich Leute gab, die glaubten, daß der Mauerbau irgend etwas mit der Sicherung des Friedens in Europa zu tun hätte …?
Immer wieder stieß ich in Polen unvermutet auf die Vergangenheit. Von einer Alexandra erfuhr ich irgendwann, daß ihr Vater auch in einem deutschen Konzentrationslager gewesen war. Und wir beide wanderten nun Hand in Hand auf den Wawel, genossen den herrlichen Blick auf Kraków und die Weichsel und sangen zweistimmig »Viva la compagnie …«.
Zwischendurch mußten Crassus und ich unsere Haushaltskasse aufbessern. Wir gingen an unsere »Reserven«, denn auch in Polen wurde alles gebraucht. So verkauftenwir mitten im Zentrum, gegenüber den schönen Renaissance-Tuchhallen, mitgebrachte DDR-Socken, die bei uns sehr billig waren, ein Hemd und eine Jeans. Nach einer kurzen Phase der Überwindung hielten wir die Sachen mitten auf dem Bürgersteig einfach in die Höhe. Schon bald umringten uns Menschen, in kurzer Zeit hatten wir alles verhökert, und die eingenommenen Złoty ließen unsere Portemonnaies anschwellen.
Neben Prag ist Kraków für mich im Osten Europas die Stadt, in der ich mich von Anfang an immer wohl gefühlt habe. Da wie dort ist Geschichte an so vielen Bauten ablesbar. Seitdem ich italienische Städte gesehen habe, weiß ich, daß Kraków etwas Italienisches hat. Baumeister aus diesem Land wirkten auch dort im südlichen Polen.
Beiden Städten, Kraków wie Prag, habe ich viel zu verdanken in Zeiten der Tristesse: dort wurde mir eine Lebensart vermittelt,
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