Mauer, Jeans und Prager Frühling
Truppe mit Rosmarie, Karl-Heinz, Steffi, Uli, Peter, Tine, den beiden Helgas, Jochen und Gerd, diese Truppe hält bis heute zusammen.
Annelie, die wir eigentlich Ali nannten, wurde am 26. Januar 1968 25 Jahre, und sie wollte sich ein besonderes Geschenk machen. Von ihrer Freundin Rosmarie hatte sie erfahren, daß ich am 27. einen Auftritt im Zwickauer Club der Intelligenz hatte. Man beachte: Die Arbeiter hatten Klubhäuser, die Intellektuellen einen Club. Die Intelligenz war allerdings in der DDR keine Klasse, sondern eineSchicht, obwohl nur die Arbeiterklasse zur Schicht ging, aber das wissen Sie bestimmt noch.
Annelie wollte also ihre Zwickauer Freunde überraschen, indem sie im Club der Intelligenz wie Phoenix aus der Asche auftauchte. Und Asche gab es – nebenbei gesagt – in der Bergarbeiterstadt reichlich. Anfang Januar hatte sie eine Aufenthaltserlaubnis beantragen lassen, und obwohl sie die Papiere nicht bekam, fuhr sie an ihrem Geburtstag trotzdem einfach los – von Düsseldorf Richtung Grenze. Im Gepäck vor allem viel Hoffnung.
Doch die Grenzbeamten hielten sie entweder für eine Agentin, die sich eine ganz besondere Taktik ausgeklügelt hatte, oder für leicht geistesgestört. Der Genosse Offizier vom Dienst meinte, das wäre ihm noch nie passiert, daß jemand, um angeblich in Zwickau irgendwelche Freunde zu treffen, ohne Einreiseerlaubnis in Oebisfelde ankommt und auch noch denkt, daß eine Weiterreise möglich ist.
Nicht zu fassen!
Ohne gültige Papiere will eine junge Frau in die Deutsche Demokratische Republik einreisen!
Er konnte ja auch nicht wissen, daß es nicht jener Staat war, den Ali besuchen wollte, sondern nur ganz bestimmte, ihr nahestehende Menschen, die darin lebten.
Nun gab es über längere Zeit einiges Hin und Her mit dem Offizier; eine liebe ältere Freundin kümmerte sich inzwischen in Zwickau bei der Volkspolizei, damit die Aufenthaltsgenehmigung telegrafisch geschickt würde.
Von 16.00 bis 24.00 Uhr wartete Annelie.
Dann kam der Genosse Grenzoffizier: »Sie können die Einreise erst in ein paar Tagen bekommen und müssen mit dem nächsten Zug wieder nach Hause fahren.«
Weinend stieg Annelie nachts um eins in den Zug nach Köln.
Diese kleine Geschichte möge ins Gedächtnis rufen, daß zwischen 1961 und 1989 neben vielem anderen in den beiden deutschen Staaten auch keine Überraschungsbesuche unter Freunden möglich waren.
Die Unikirche
Bereits drei Jahre nach dem Krieg, dem in der Messestadt unersetzliche Bauwerke zum Opfer fielen, erschien die Broschüre »Leipzig – ein neuer Führer« von Karl Baedeker. Darin ist beschrieben, was die Bombennächte überstand, was zerstört wurde. So konstatiert der Autor: »Die erhalten gebliebene Paulinerkirche (Universitätskirche) ist mit einem Stück des Kreuzganges der letzte Rest des 1229 gegründeten Dominikanerklosters.« Zwanzig Jahre nach Erscheinen dieses Stadtführers, im Jahre 1968, behaupteten Funktionäre, die Kirche stünde einem Neubau der Leipziger Universität im Wege. Sie verstiegen sich sogar zu dem Urteil: An einem Karl-Marx-Platz könne keine Kirche stehen. Was hätte Marx dazu gesagt? Als Jude geboren, getauft, zum Atheisten geworden. Und Pate von Liebknecht! Dessen Taufe fand in der Thomaskirche statt. Aber selbst wenn er mit dem geweihten Wasser in der Unikirche benetzt worden wäre, der Bau wäre wohl noch lange nicht gerettet gewesen.
Wenn allerdings schon 1968 vorhersehbar gewesen wäre, daß sich die DDR-Führung einmal – 1983 anläßlich seines 500. Geburtstages – auch Martin Luther in ihr »humanistisches Erbteil« einverleiben würde, dann wäre das natürlich die Chance der Unikirche gewesen! Schließlich hatte Luther sie 1545 zur evangelischen Kirche geweiht.
Doch 1968 war Luther für die Partei noch ein unsicherer Kandidat, eher reaktionär, denn hatte er sich nicht sogar »wider die räuberischen Horden« der Bauern ausgesprochen? Nur Thomas Müntzer fand mit seiner Haltung Gnade in den Augen der Genossen, die die reine Lehre hüteten.
Auch Bach hatte in dieser Kirche gewirkt. So wurde hierdie Motette »Der Geist hilft unser Schwachheit auf« zum ersten Male aufgeführt.
Felix Mendelssohn Bartholdy hatte dort sein Oratorium »Paulus« der Öffentlichkeit vorgestellt, denn 1240 war die Kirche ja zu Ehren des Apostels Paulus geweiht worden. Auch die Totenfeier des großen Komponisten fand 1847 in der Paulinerkirche statt. Nun war die Totenfeier der Kirche nahe. Es war für viele
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