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Mauer, Jeans und Prager Frühling

Mauer, Jeans und Prager Frühling

Titel: Mauer, Jeans und Prager Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd-Lutz Lange
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Menschen in Leipzig unvorstellbar, daß dieses Haus, vom Krieg verschont, nachträglich zerstört werden sollte. Ein religiöser, ein kultureller Mittelpunkt der Stadt.
    Rektor war damals, erzählte mir Manfred Unger, Ernst Werner, ein international angesehener Wissenschaftler, der über Jan Hus gearbeitet und dafür einen tschechischen Preis erhalten hatte. Er hatte über Klosterreformen im 11. Jahrhundert promoviert, nun sollte er mit durchsetzen, daß eine ehemalige Klosterkirche gesprengt wurde? Eine Kirche, die neben den Protestanten auch die heimatlose katholische Propsteigemeinde beherbergte, nachdem deren Kirche in der Nähe des Neuen Rathauses 1943 zerbombt worden war.
    Und dieses Gotteshaus sollte zerstört werden? Wie seinerzeit Kirchen nach der Oktoberrevolution? Das wäre doch ein Rückfall in den schlimmsten Stalinismus, 15 Jahre nach Stalins Tod. Walter Ulbricht, ein sehr ungeliebter Sohn der Messestadt, soll den Anstoß zur Beseitigung der Kirche gegeben haben. Folgende bittere Anekdote wurde in Leipzig erzählt: Ulbricht hätte angeblich in einer Pause auf dem Balkon der Oper gestanden und gesehen, wie Hunderte junger Menschen aus der Unikirche strömten.
    »Was war denn dort los?«
    »Ein Gottesdienst mit Pater Gordian.«
    Und Ulbricht hätte nach kurzem Nachdenken gesagt: »Die Kirche muß weg, ja?!«
    Der Dominikanerprediger Pater Gordian Landwehr zählte zu den von der Parteiführung besonders gehaßten Menschen. Er war der letzte, der sich bewußt in die Traditiondes ehemaligen Dominikanerklosters stellte. Einmal im Monat hielt er eine Jugendpredigt, und die Kirche war bis auf den letzten Platz gefüllt. Weit über 1000 junge Leute pilgerten zu ihm. Er sprach sehr temperamentvoll. Seine Predigten waren eigentlich kleine Ein-Personen-Stücke. Die Kanzel wurde zur Bühne.
    In mein Tagesplanbuch von 1965 schrieb ich, daß seine Stimme eine Mischung von Willy Brandt und Satchmo sei. Und: »Hervorragender Rhetoriker«. In jener Predigt sprach er über »Was ist anders in der anderen Welt«. Auch Begriffe wie »Mauer und Stacheldraht« kamen darin vor. Und er sprach über die drei Erkenntnisstufen:
    Mensch/Geist-Gottesglaube-Gott. Daß wir ein zu buntes Bild von der andern Welt hätten, das wäre biblisch nicht vertretbar. Sein Blick auf das Diesseits jedenfalls gefiel der Partei ganz und gar nicht. Wenn Ulbricht wüßte, daß es nunmehr in Leipzig eine Pater-Gordian-Straße gibt …!
    Die Universitätsleitung verbot Pater Gordian eine Predigt in der Paulinerkirche, die er über die Geschichte des gefährdeten Gotteshauses halten wollte. So sprach er in der Liebfrauenkirche. Über tausend Menschen kamen. Eine Predigt, in der es vor allem um den Begriff Heimat ging. Und daß die Universitätskirche für uns ein Stück Heimat ist, das nun zerstört werden soll.
    Pater Gordian wurde danach von der »Arbeitsgruppe ›Christliche Kreise‹ der Nationalen Front des Demokratischen Deutschlands« attackiert: »… Sie, Hochwürden, hielten es für nützlich, kein Wort über die alle friedliebenden Menschen, auch Katholiken bewegenden Probleme zu äußern, sondern Ihren Vortrag über Geschichte und Gegenwart der Universitätskirche mit einer Erörterung über den ›Heimatbegriff, über Heimatgefühl, Heimatliebe‹ zu verbinden, womit Sie den humanistischen Gedanken des Heiligen Vaters entgegenwirken. Wollten Sie sich damit zum Fürsprecher der reaktionären westdeutschen Kräfte machen, die den Revanchismus zur offiziellen Staatspolitik erhoben haben? Wir meinen, in Ihrem Vortrag wäre geradevon Ihnen als Seelsorger ein mahnendes Wort geboten gewesen, allen jenen Kräften Einhalt zu gebieten, die auf einen neuen Krieg hinarbeiten. Es ist mehr als unverständlich, daß Sie Fragen um die Universitätskirche, bei der es sich um staatliches Eigentum handelt, mit revanchistischem Gedankengut verkomplizieren wollen.«
    So »christlich« argumentierten diese Kreise.
    Am 23. Mai, es war der Himmelfahrtstag, beschlossen im Neuen Rathaus Atheisten und auch ein paar »Christen« der CDU die Himmelfahrt der spätgotischen Universitätskirche. Die Stadtverordneten faßten bei einer Gegenstimme von Pfarrer Hans-Georg Rausch den Beschluß zur Neugestaltung des Karl-Marx-Platzes. Nach der Wende stellte sich heraus, daß Rausch IM war.
    Die vielen Gegenstimmen außerhalb des Rathauses fielen nicht ins Gewicht.
    Gerüchte machten die Runde: Der Papst persönlich hätte gegen die Sprengung der Kirche protestiert … und der

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