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Maulende Rebellen, beleidigte Zicken

Titel: Maulende Rebellen, beleidigte Zicken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annegret Noble-Fischer
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nachdenkt und sich auf das konzentriert, was sich in der Gegenwart und der unmittelbaren Zukunft ereignet.

    Vater: »Das ist in ungefähr vier Jahren. Was denkst du, als was du arbeiten wirst?«
    Es wäre einfach für Susis Vater, ihr zu sagen, wie kurzsichtig sie denkt, wie unrealistisch sie ist und wie dumm ihr Argument ist. Stattdessen akzeptiert er, dass ihr Gehirn noch nicht weit genug entwickelt ist, um vorausblickend zu planen, und dass es unsinnig ist, etwas von ihr zu erwarten, das sie einfach nicht kann. Das wäre, als würde man von einem Einjährigen erwarten, dass er keine Windeln mehr braucht und nur aus böser Absicht in die Hosen macht, obwohl es doch eine Tatsache ist, dass ein Einjähriger körperlich einfach nicht in der Lage ist, die entsprechenden Muskeln und Impulse zu kontrollieren.

    Susi: »Ich will Krankenschwester werden.«
    Da sie sich respektiert und in ihrer Meinung ernst genommen fühlt, gibt sie ihm eine ehrliche Antwort.

    Vater: »Das ist ein interessanter Beruf. Hast du dich schon mal erkundigt, was du tun musst, um Krankenschwester zu werden?«
    Susis Vater geht nur kurz darauf ein, was Susi werden will - ohne es als gut oder schlecht zu bewerten - denn er weiß, dass sie sich höchstwahrscheinlich noch einmal anders entscheiden wird, bevor sie 18 ist. Es ist ihm nicht wichtig, dass sie in vier Jahren Krankenschwester wird, sondern dass sie jetzt zur Schule geht. Es würde von seinem Ziel ablenken, wenn er jetzt darüber reden würde, wie gut Susi als Krankenschwester sein würde und dass sie schon als kleines Kind immer Tiere verarzten wollte. Sein Ziel ist es auch weiterhin, Susi dabei zu helfen, ihre Frontallappen zu benutzen, um zu sehen, dass die Vorteile des Schulbesuchs sehr viel größer sind als die Nachteile.

    Susi: »Keine Ahnung… Aber ich bin doch erst 14.«
    Jetzt fangen Susis Frontallappen an zu arbeiten. Sie wimmelt die Frage zwar ab, aber sie hat sich auf die Argumentation ihres Vaters eingelassen, und erlaubt ihm damit, den folgenden Vorschlag zu machen.

    Vater: »Ich kenne eine Krankenschwester, die hier im Kinderkrankenhaus arbeitet. Bist du daran interessiert, mit ihr zu reden, damit du genau weißt, was die Voraussetzungen sind und ob es wirklich eine gute Idee ist, jetzt mit der Schule aufzuhören?«
    Susis Vater hat erst mal sein Ziel erreicht. Sie besteht nicht mehr darauf, die Schule zu schmeißen. Sie denkt über ihre Zukunft nach, mithilfe ihrer Frontallappen. Der Vater lässt sich auf ein kleines Risiko ein, indem er die Schulfrage direkt anspricht. In diesem Fall lohnt es sich. Er hätte aber auch ohne den letzten Teil des Satzes sein Ziel erreichen und einfach nach »… was die Voraussetzungen sind« aufhören können. In diesem Fall hatte Susis Vater das Gefühl, dass das Gespräch positiv genug war und seine Beziehung zu seiner Tochter gut genug ist, um das eigentliche Thema, das Schwänzen, direkt anzusprechen.

    Susi (nach einer langen Pause): »Na gut.«
    Susi hat das Gefühl, dass sie von ihrem Vater ernst genommen wird, dass ihm ihre Gedanken und Gefühle wichtig sind und dass ihr Vater ihr zutraut, eine gute Entscheidung zu treffen. Sie kann sich deshalb auf ein Gespräch mit der Krankenschwester einlassen und danach gegebenenfalls ihre Meinung ändern. Es ist für Jugendliche elementar wichtig, dass sie eine Meinungsänderung nicht als Gesichtsverlust erfahren. Sobald sie das Gefühl haben, dass jemand sagen könnte: »Siehst du! Das habe ich doch gleich gesagt! Du hättest mir auch einfach glauben können! Ich hatte recht und du nicht!«, haben Jugendliche das Gefühl, an der ursprünglichen Meinung festhalten zu müssen, egal ob sie diese für richtig halten oder nicht. Eltern müssen deshalb darauf achten, dass sie nach einer Meinungsänderung keine Scham- und Minderwertigkeitsgefühle in ihren Kindern hervorrufen.
    Hier folgt nun das Ende des Gesprächs zwischen Susi und ihrem Vater:

    Vater (im Umdrehen): »Ich werde Veronika morgen früh anrufen - denkst du, dass du, bis du dich mit ihr getroffen hast, regelmäßig in die Schule gehen kannst?«
    Susi: »Wenn’s sein muss.«
    Vater: »Susi, noch eine Sache. Willst du, dass wir zusammen mit dem Direktor darüber reden, was für Konsequenzen dein Schwänzen haben wird und wie du den Stoff nachholst oder möchtest du dich alleine mit ihm treffen und ihr ruft mich dann an?«

    Susi: »Muss das sein? … (Stille) Dann eben zusammen.«

    Zu schön, um wahr zu sein? Nicht unbedingt.

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