Maximum Warp. Der Guide durch die Star-Trek-Romanwelten: Von Nemesis zu Typhon Pact! (German Edition)
ordnungsliebendes Volk.
Diese Ordnungssehnsucht hat ihre kulturellen Wurzeln vermutlich im Harmoniebestreben der orelianischen Zivilisation und konnte vom Militär günstig aufgegriffen werden, um die Gesellschaft umzugestalten, ohne eine radikalen kulturellen Bruch zu vollziehen. Die besagte Harmonie- und Ordnungsliebe mag eine Eigenschaft sein, die eine schattenseitige Tendenz zum Totalitären aufweist. Vielleicht erklärt sie, warum das Militär so viele Jahrhunderte an der Macht bleiben konnte, ohne eine ernsthafte Opposition fürchten zu müssen.
SEHNSUCHT NACH OBRIGKEIT UND AUFOPFERUNG
An den Cardassianern, wie wir sie im 24. Jahrhundert antreffen, lässt sich gut beobachten, dass sie sich im Privaten ausleben, dort ganz sie selbst sind, in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit jedoch zur Ein- und Unterordnung streben. Fast könnte man von einer Biedermeiermentalität sprechen – mit dem wesentlichen Unterschied, dass die Cardassianer die Trennung zwischen Privat- und Gesellschaftsleben nicht erzwungenermaßen vornehmen, sondern auch brauchen.
Autorität, Ordnung und
Under
ordnung sind für sie sehr wichtig. Beispiel gefällig? Garak, der auf DS9 im Exil leben muss, schliddert zeitweilig in Gemütsphasen hinein, in denen er beinahe den Verstand verliert, weil er nicht länger Teil jenes Systems ist, das er zugleich hasst und liebt. In der frühen Folge
Das Implantat
wird erstmals offenbart, dass Garak ein Hirnimplantat trägt. Ursprünglich sollte es ihn gegen Verhörtechniken resistent machen, nun aber erfahren wir, worin seine neue Funktion besteht: Garak die Langweile und Ziellosigkeit seines neuen Lebens erträglich zu machen.
Die Episode
Der undurchschaubare Marritza
präsentiert uns einen Cardassianer, der während der Besatzungszeit viel Unrecht verursacht hat. Obwohl ihn Zweifel ob seiner verabscheuungswürdigen Taten befielen, hat er seine Handlungen nie davon diktieren lassen. Für Marritza nämlich ist klar: »Ein Befehl ist ein Befehl.« Erst nach der Entbindung von seinen Pflichten ist er imstande, sich der Buße zu verschreiben. Dem frischgebackenen Ruheständler Legat Ghemor plagen in
Die zweite Haut
ganz ähnliche Gewissensbisse. So machen es die Cardassianer: Sie stauen Emotionen in sich auf, sperren sie weg, statt sich ihretwegen zu erheben. Die Revolution entspricht nicht ihrem sozialen Kodex. Sie leiden im Stillen – auch über sich selbst.
Manchmal hat man als Zuschauer das Gefühl, das Gleichgewicht zwischen privater Existenz und Gesellschaftsleben stimme nicht, dass die Cardassianer also in der ständigen Gefahr stehen, sich von ihrer äußeren Identität und gesellschaftlichen Rollenbildern vereinnahmen zu lassen. Nur so ist Gul Dukats Abstieg in
Indiskretion
zu erklären, nachdem er von seiner halb bajoranischen Tochter erfährt. Nur so kann man letztlich erklären, warum Enabrain Tain, Führer des mächtigen Obsidianischen Ordens, des cardassianischen Geheimdienstes, sich nicht zu seinem Sohn Garak bekennt (vgl. Roman
Ein Stich zur rechten Zeit
). Dass dies im Grunde seines Herzens gegen seinen persönlichen Wunsch geschieht, zeigt sich in
Im Lichte des Infernos
, als der sterbende Tain Garak um Vergebung bittet.
Und der Grund für ein solches Verhalten? Es ist weniger das Streben nach grenzenlosem Ruhm – dafür sind die Cardassianer zu puritanisch. Mehr ist es das ständige, unterschwellige Schuldgefühl, der Nation einen Dienst leisten zu müssen. Dafür opfern Cardassianer sehr viel. In diesen Zusammenhang passt die Sage über ihr gesellschaftliches Leben namens »Das ewige Opfer« (vgl. Roman
Entsetzliches Gleichmaß, Das ewige Opfer
). Vielleicht handelt es sich dabei um so eine Art cardassianische Buddenbrooks, eine über mehrere Generationen reichende Familiengeschichte, die von den Entbehrungen der Cardassianer erzählt und die Seele dieses Volks, die Metapher, die ihm innezuwohnen scheint, transzendent macht.
EINZELNE IM SPIEGEL DER CARDASSIANISCHEN SEELE
Figuren wie Dukat und Garak sind deshalb so wertvoll, weil sie gute Beispiele für das cardassianische Wesen mit all seinen Lichtblicken und Abgründen sind. Obwohl Benjamin Sisko in
Das Gute und das Böse
zu einer gegenteiligen Behauptung findet, ist keiner dieser beiden Männer von Grund auf wirklich schlecht – weshalb es durchaus verwundern kann, dass sie für unterschiedliche Seiten kämpfen.
Gul Dukats großes, bleibendes Leiden beispielsweise ist, dass die Bajoraner ihn nie als Präfekten akzeptierten.
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