Maya und der Mammutstein
sei das alles ein Wachtraum, und in diesem Wachtraum waren all jene Kräfte vorhanden, die unwissentlich eine Rolle in dem Geheimnis spielten.
Geist. Das Volk. Maya. Das Geheimnis.
Mit einemmal fühlte er sich viel zu alt, viel zu müde. Aber dabei konnte er es nicht bewenden lassen. Irgendwie mußte er die Kraft finden.
Irgendwoher.
Aber woher?
Mayas Wangen glühten von der Anstrengung, Beere vorsichtig den steinigen Pfad vom Ersten See zurück zum Lager zu führen. Sie spähte zu der wachsenden Menschenmenge um das Geisterhaus hinüber und erblickte Geist, der mit versteinertem Gesicht zu den Versammelten hastete. Für Sekundenbruchteile trafen sich ihre Blicke, und die Kälte in Geists Augen war eisig.
Maya schnappte nach Luft. Der Blick traf sie wie ein Schlag. Sie wußte schon seit langem, daß Geist sie haßte, allerdings hatte sie keine Ahnung, warum. Doch der junge Schamane gab sich Mühe, seine wahren Gefühle immer gut zu verbergen, und hatte sie seit jener Zeit, als sie mit Alter Beere zusammen in ein Zelt gezogen war, mit vorsichtiger Höflichkeit behandelt.
Manchmal saß sie gemeinsam mit dem jungen Schamanen im Geisterhaus, während Alter Zauber zu ihnen beiden von geheimen Dingen sprach. Es war ihr nie in den Sinn gekommen, daß ihre Anwesenheit dort und die Tatsache, daß Alter Zauber sich meist an sie wandte, Geist fast krank vor Eifersucht gemacht hatten.
Aber seine Abneigung, die sie deutlich spürte, machte ihr nicht so viel angst, wie es hätte sein sollen. Keiner, mit Ausnahme von Altem Zauber und Beere, mochte sie - und nach einer Weile war es ihr gelungen, Geists Ablehnung ihr gegenüber zu ignorieren, wie sie auch die Ausgrenzung, die sie sonst erfuhr, ignorierte.
Für den Rest des Volkes war sie eine vertraute, wenn auch gemiedene Person. Warum sie nicht war wie alle anderen, warum man sich ihr gegenüber zurückhaltend gab, war mit der Zeit in Vergessenheit geraten; man tat es einfach. Hin und wie der vergaß man die Zurückhaltung auch.
Selbst Haut nickte ihr manchmal zum Gruße zu.
Geist war anders. Sein Haß kam tief aus seinem Herzen. Maya wußte, daß er keine Angst vor den Geistern hatte, nicht so wie die anderen. Er hatte keinen Grund, sie zu fürchten.
Und doch fürchtete er sie. Diese plötzliche Erkenntnis erschütterte sie zutiefst. Es war, als habe jemand die Zeltklappe zurückgeschlagen, um den Blick auf irgendeinen verfaulten Anblick des Schreckens im Innern des Zeltes freizugeben.
An jenem Tag träumte Maya ihren ersten Traum, wenn auch nur einen Sekundenbruchteil lang. Dann war die Vision wieder verschwunden, und Maya wandte sich Alter Beere zu.
»Können wir uns nicht ein wenig beeilen? Da vorne geht irgend etwas Wichtiges vor. Wir sollten hingehen.«
Auch Beere hatte etwas gespürt, obwohl sie nicht genau wußte, was. »Ja, Kind«, sagte sie. Sie legte eine Pause ein und blickte fest in Mayas seltsame, glühende Augen. »Bist du ... in Ordnung?«
»Ja, Alte Beere, mir geht es gut«, erwiderte Maya.
KAPITEL NEUN
Bisonlager, nordwestlich des Grünen Tals: 17983 v. Chr.
Schwarzes Karibu schlug die Klappe am Eingang seines Zeltes beiseite und trat in einen strahlenden Morgen hinaus. Er blieb stehen, reckte sich genüßlich und ließ dann den Blick suchend über das Lager des Bisonvolkes schweifen.
Alles schien in schönster Ordnung zu sein; es gab einen Kreis von Rundzelten, zehn von ihnen, und in ihrer Mitte zwei behelfsmäßige Feuerstellen. Diese waren aus runden Steinen errichtet worden, die die Frauen vom Flußufer herbeigeholt hatten, ein paar hundert Stocklängen entfernt. Kleine Ratte hockte an der nächstgelegenen Feuerstelle und stocherte in den aschebedeckten, noch glimmenden Kohlestückchen herum, während er ein paar Zweiglein trockenen Anzündholzes in die Restglut hielt. Der gute Geruch brennenden Holzes stieg in den Morgenhimmel empor, zusammen mit einem dünnen weißen Rauchfähnchen. Die Frauen rührten sich bereits; Karibus Nase zuckte, als ihm der köstliche Duft frischen Fleisches zuwehte, das zwei Mädchen zur Feuerstellen schleppten.
Es war die Keule eines riesigen Bisons, das drei der Jäger am Tag zuvor mit ihren Speeren erlegt hatten. Die erfolgreiche Jagd war der Grund dafür, daß das Bisonvolk hier eine längere Rast eingelegt hatte; ihre Jagdbeute wog mehr als fünfzehnhundert Pfund, genug, um die vierzig Männer, Frauen und Kinder des Stammes mehrere Tage lang zu ernähren.
Schwarzes Karibu kratzte sich unter seinen Fellen,
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