Mayabrut (German Edition)
der Ohnmacht erwachte, um vor ihren Augen die Schale mit ihrem Blut auszuschlürfen. Der grün leuchtende Flaum, der sein zahnloses Maul und seinen Körper bedeckte, würde sich mit ihrem Blut vollsaugen, und eines Tages würde sie dabei sterben.
Aber sie wollte nicht sterben, sie wollte das alles nicht mehr, nicht für die Handvoll Würzpulver, das eigentlich nur noch aus Krümeln bestand, und auch nicht, um einem Regengott zu huldigen, der dem Dorf eine gute Maisernte schenken sollte.
Verzweifelt trat sie um sich, trat in etwas Weiches. Stöhnen und Ächzen folgte – etwas fiel klirrend zu Boden. Dann folgte ein bestialischer Schrei, der in ein Wimmern überging. Etwas Kaltes, Spitzes war in ihre Hand gefallen. Vorsichtig nestelte sie mit den Fingern daran herum – es war Akälajaws Opferdolch. Panisch durchtrennte sie ihre Fesseln und erhob sich taumelnd. Blut lief ihren Arm hinunter. Sie musste ihn verbinden. Im Dämmerlicht fand sie ihr Kleid und schnitt einen Streifen heraus. Sie begann gerade, ihren Arm zu umwickeln, als starke Männerhände sie auf den Boden warfen und an Händen und Füßen fesselten. Nun trat Akälajaw hinzu und zischte: „K’ajk.“
Ein letzter tödlicher Gruß, der sich in ihre geschundene Seele fraß. Brutal schleiften seine Schergen sie zu einem hölzernen Käfig und zogen den Holzverschlag mit seinem Opfer nach oben zum Licht - sie fiel ins Dunkel.
Wasser holte sie aus ihrer Ohnmacht zurück. Verwirrt schaute sie in die grelle Mittagssonne, die ihren fröstelnden Körper wärmte - wann würde dieser Albtraum endlich vorbei sein? In ihren Ohren rauschte es. Irgendjemand rief ihren Namen. Erst jetzt bemerkte sie, dass an ihren Füßen Hitze aufstieg, die von beißendem Qualm begleitet wurde. Nun begriff sie, dass das grüne Monster sie zum Tod verurteilt hatte - zum Feuertod.
Am Opferpfahl gefesselt, sollte sie vor allen Talbewohnern verbrannt werden. Tränen schossen in ihre Augen. Durch den Tränenschleier erblickte sie ihre verzweifelte Mutter, die sich an der ersten Pyramidenstufe festkrallte. Zwei Frauen zerrten sie zurück. Diese beiden Frauen waren nicht böse, die Menschen ihres Dorfes waren nicht böse – aber ein böser Dämon beherrschte sie alle, machte alle Bewohner des Yäx Tyuñ Tals zu seinen blutigen Werkzeugen und hatte ihren Tod befohlen. Ihre Mutter ging in einer Menschentraube unter. Sie wollte ihren Namen rufen, aber sie war zu schwach. Außerdem kroch beißender Rauch in ihre Kehle, in ihre Lunge. Mühsam drehte sie den Kopf und schaute noch einmal zu ihrem Lieblingsort.
Ein feiner weißer Nebel umhüllte den in die Tiefe stürzenden Wasserfall, sein tosendes Schreien grüßte sie ein letztes Mal. Sie würde sein Geheimnis mit in den Tod nehmen. Dann blickte sie zu den Maisfeldern. Jeden Morgen war sie dorthin gelaufen. Sie war die schnellste Läuferin des Dorfes, nicht einmal die Männer holten sie ein.
Das Kratzen in ihrem Hals wurde unerträglich und von den Füßen her züngelte brennender Schmerz herauf. Husten ließ ihren geschwächten Körper beben. Verzweifelt blickte sie zu der weißen, mit Schilf gedeckten Hütte, die ihr Zuhause war. Dort loderten Flammen auf, man hatte die Hütte in Brand gesetzt, und nun erblickte sie auch die Menschentraube wieder, die ihre Mutter zum Feuer schleifte. Kurz darauf wurde ihre Mutter in die brennende Schilfhütte gestoßen und verschwand in den Flammen.
Sie wollte schreien, aber nur ein Krächzen entfloh ihren zerschlagenen Lippen. Verzweifelt flehte sie Hunraqan, den einbeinigen Wirbelwind, um Hilfe an. Schon zweimal war er vom Himmel herabgestiegen. Keiner der Dorfbewohner konnte sich an solch erinnern, ein solches Ereignis jemals zuvor erlebt zu haben. Nur ihr Priester Akälajaw hatte eine Erklärung dafür. Die alte Zählung vollendete sich bald und ein neuer Zyklus würde beginnen. Doch vorher sandten die Götter Boten zu ihren Geschöpfen herab, um sie für all ihre begangenen Bosheiten zu bestrafen. Und deshalb müsse man die erzürnten Götter milde stimmen, müsse man ihnen Menschenblut opfern.
Auf Akälajaws Wunsch wurde nun seit mehreren Monden jeden Mittag in das Opferfeuer eine Schale mit Blut ausgeschüttet, das qualmend in den Himmel stieg. Doch heute würde sie selbst zu den Himmelsgöttern emporsteigen. In ihren Ohren begann es zu rauschen und ihr wurde übel. Verzweifelt streckte sie den Kopf in die Höhe, um dem beißenden Qualm zu entgehen, und dann sah sie es - die Götter
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