Mayabrut (German Edition)
aufzurichten. Ein stechender Schmerz schoss durch ihren Arm und ließ sie zusammensinken. Die Wunde, die ihr der Priester zugefügt hatte, brannte, aber sie lebte, dessen war sie sich jetzt sicher. Sie wusste zwar nicht, wo sie sich befand, aber sie lebte, und das war für sie die wichtigste Erkenntnis.
Der Vorhang schwebte zur Seite und die weiße Gott-Frau trat zusammen mit einem Mann-Gott ein. Dieser hatte ein gütiges, braun gebranntes Gesicht, schwarze Haare, in denen auch einige silberne glänzten, und war ebenfalls fremdartig gekleidet. Auch wenn sie solche Kleidung noch nie gesehen hatte, gefielen ihr die himmelblauen Röhren, die sich um die Beine des Gottes schlängelten. Ein derber Stoff in gleicher Farbe bedeckte fast seinen gesamten Oberkörper. Verdutzt bemerkte sie, dass seine Brust behaart war. Und dann erschrak sie. Todesangst legte sich wie Fesseln um ihren Körper und schnürte ihr die Luft ab. Da war es wieder, das Zeichen der Götter. Vom Brustkleid des Gottes starrte sie ein Götterauge schwarz und glänzend an. Sie versank im Dunkel.
Cholalälel - Mutter flüsterte ihren Kosenamen. Mit ihrer warmen Hand strich sie sanft über ihre Stirn. „Mutter“, seufzte sie und öffnete ihre Augen. Erstaunt erblickte sie eine kräftige Hand, die ihr über die Stirn strich.
Misstrauisch senkte sie den Blick und erstarrte erneut. Noch immer drohte das Zauberauge. Der Mann-Gott schien ihre Angst bemerkt zu haben. Aufmerksam folgte er ihrem Blick. Dann sah sie, wie der Gott lächelte und nach dem Zauberauge griff. Er setzte sich zu ihr und hielt ihr die Zauberaugen, denn es waren eigentlich zwei, vor die Augen. Sie staunte, als sich der Gott und die Umgebung verdunkelten. Sobald sie aber an den Zauberaugen vorbei sah, schwand das Dunkel. Eine kleine gelbe Sonne strahlte in einem Raum hinter dem geöffneten Vorhang. Sie hielt die Zauberaugen gegen das seltsame Licht, dann begriff sie, man konnte damit der Sonne ungestraft in das Antlitz schauen.
Der Mann-Gott, er schien ihren Gedanken erraten zu haben, nickte ihr zu. Andächtig streckte sie ihm seine Zauberaugen entgegen. Der Gott lachte laut auf, schüttelte den Kopf und drückte ihre Hand mit den Zauberaugen zurück. Sie öffnete ungläubig den Mund und wollte sich für das Geschenk bedanken, aber nur ein heiseres Wispern erklang. Der Gott nickte traurig und half ihr, sich aufzurichten, dann griff er nach dem Gefäß mit dem Wasser. Langsam führte er es an ihre Lippen. „Oh, wie gut das ihrer Kehle tat – es war so, als ob ihr geliebter Wasserfall die Glut in ihrem Hals mit sich riss und ihrem geschundenen Körper frisches Leben einhauchte. Andächtig setzte sie die Schale ab. Der Mann-Gott reichte sie der Gott-Frau – und dann sprach er zu ihr: „Bajche’ aw-ilal?“ Verwirrt sah sie ihn an. Der Gott hatte sie gefragt, wie es ihr ginge. Auch wenn er einen seltsamen Dialekt sprach - sie hatte ihn verstanden. Sie freute sich und wollte ihm sagen, dass es ihr gut gehe, aber sie krächzte wie ein bunter Ara. Akälajaws Feuer hatte ihr die Stimme geraubt. Traurig vergrub sie den Kopf zwischen den Knien und weinte. Zärtlich strich ihr der fremde Gott über ihr Haar und nahm sie in den Arm. All ihr Kummer, all ihre Ängste flohen dahin.
Wenig später näherte sich der Fremde ihren Augen mit einem weißen Fellchen. Sanft tupfte er ihre Tränen ab und sprach sie erneut an. Gebannt schaute sie auf seinen Mund, über dem ein kleiner Haarstreif wackelte. „Vidal j-k’aba’.“
Der Name des Mann-Gottes war Vidal. Von so einem Gott hatte sie noch nie gehört und sie kannte alle Götter, sowohl der Ober- als auch der Unterwelt. Noch einmal versuchte sie zu antworten.
Sofort legte ihr die Gott-Frau ihre Hand auf den Mund. Dann zeigte sie auf sich und sagte immer wieder: „Celia.“
Sie verstand – dies war der Name der Gott-Frau. Und wieder versuchte sie zu antworten, aber der Celia-Gott legte ihr die Hand auf den Mund und schüttelte den Kopf. Sie schaute zum Gott Vidal. Dieser hielt etwas in der Hand, das wie weiße Baumrinde aussah. Erstaunt bemerkte sie, wie er darauf zwei schwarze Männchen zeichnete, ein kleines und ein größeres. Nun zeigte er auf das größere und murmelte dabei immer wieder seinen Namen, dann zeigte er abwechselnd auf das kleinere und auf ihren Oberkörper. Dabei wies er auf ihren Mund und schüttelte mit dem Kopf. Sie erriet den Sinn seiner Gesten – sie sollte die andere Figur sein. Und nun bemerkte sie, dass dieses
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