Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)
klein geratenen Penis besitzt. Die Jungs, mit denen ich geschlafen hatte, erinnerten nicht mal entfernt an den David, sie müffelten, waren unbeholfen, behaart und pickelig. Ich schwärmte für irgendwelche Schauspieler, an deren Namen ich mich heute nicht mal erinnere, nur weil Sarah und Debbie oder welche von den Mädchen im Internat in Oregon das ebenfalls taten, aber sie waren ähnlich körperlos wie die Heiligen meiner Großmutter. Man fragte sich, ob sie überhaupt von dieser Welt waren, so weißschimmerten ihre Zähne, so weich ihr mit Wachs enthaarter, sonnengebräunter Leib. Aus der Nähe würde ich so jemanden niemals sehen, geschweige denn ihn anfassen, sie waren für die Leinwand geschaffen und nicht für das köstliche Tasten der Liebe. Keiner davon kam in meinen erotischen Phantasien vor. Als ich klein war, schenkte mein Pop mir ein zierliches Puppentheater aus Karton, mit Figuren in Papierkostümen, mit denen man die verwickelten Opern-Handlungen nachspielen konnte. Die Liebhaber, die ich mir vorstellte, waren wie diese Pappfiguren, hatten keine eigene Persönlichkeit, wurden von mir über eine Bühne bewegt. Jetzt sind alle durch Daniel ersetzt, der meine Nächte und Tage füllt, meine Gedanken und Träume. Er ist zu schnell abgereist, wir konnten nichts festigen.
Die Nähe zwischen zwei Menschen braucht Zeit, um zu gedeihen, gemeinsame Erlebnisse, zusammen vergossene Tränen, überwundene Hindernisse, Fotos in einem Album, sie ist eine Pflanze, die langsam wächst. Mit Daniel schwebe ich im virtuellen Nirgendwo, und diese Trennung kann die Liebe zerstören. Er ist etliche Tage länger hiergeblieben, als er ursprünglich vorhatte, ist nicht mehr nach Patagonien gekommen, von hier nach Brasilien geflogen und von dort weiter nach Seattle, wo er jetzt schon in der Klinik seines Vaters arbeitet. Ich muss sehen, wann mein Exil auf dieser Insel endet, und danach entscheiden wir wohl gemeinsam, wo wir uns zusammentun. Seattle ist nicht schlecht, es regnet weniger als hier, aber ich würde lieber in Chiloé leben, möchte nicht weg von Manuel, Blanca, Juanito und Fákin.
Keine Ahnung, ob es für Daniel hier Arbeit gäbe. Manuel sagt, als Psychiater würde man in Chile am Hungertuch nagen, obwohl es mehr Geisteskranke gebe als in Hollywood, aber die Chilenen fänden Glück kitschig und würden nicht gern Geld dafür ausgeben, ihr Unglück zu überwinden. Er selbst scheint mir dafür das beste Beispiel, denn wäre er nicht Chilene, hätte er seine Traumata längst mit professioneller Hilfe erforscht und könnte ein bisschen unbeschwerter leben. Und ich bin nach dem, was ich in Oregon erlebt habe, wahrlich keine Freundin der Psychotherapie, aber manchmal hilft sie doch, wie damals meiner Nini, als sie Witwe wurde. Vielleicht könnte Daniel eine andere Arbeit finden. Ich kenne einen Oxford-Absolventen, so einen in Tweedjackett mit Lederflicken auf den Ellbogen, der hat sich in eine Chilenin verliebt, ist auf der Isla Grande geblieben und leitet dort jetzt ein Reiseunternehmen. Und dann diese Österreicherin mit dem episch breiten Hinterteil und dem Apfelstrudel; die war in Innsbruck Zahnärztin und hat jetzt ein Gästehaus. Ich könnte mit Daniel Kekse backen, das hat Zukunft, sagt Manuel, oder wir züchten Vicuñas, wie ich es mir in Oregon ausgemalt habe.
Als ich Daniel am 29. Mai verabschiedete, tat ich gelassen, weil am Anleger etliche Schaulustige standen – über uns wurde mehr geredet als über die letzte Folge der Soap – und ich vor den chilotischen Waschweibern kein Drama aufführen wollte, aber allein mit Manuel weinte ich, bis wir es beide leid waren. Daniel war ohne Computer unterwegs, hatte bei seiner Ankunft in Seattle allerdings fünfzig E-Mails von mir im Postfach und schrieb zurück, nicht gerade überschäumend vor Romantik, denn bestimmt war er erschöpft. Seitdem schreiben wir uns ständig, vermeiden alles, was mich identifizieren könnte, und haben einen Code für die Liebe, den er sehr maßvoll benutzt, wie es seine Art ist, und den ich maßlos ausnutzte, wie es meine ist.
Meine Vergangenheit ist kurz und müsste mir eigentlich klar vor Augen stehen, aber ich traue meiner launenhaften Erinnerung nicht und schreibe lieber alles auf, ehe ich es in Gedanken verändere und zensiere. Im Fernsehen kam ein Bericht über ein neues, in den USA entwickeltes Medikament, mit dem sich Erinnerungen löschen lassen, das soll bei seelischen Verwundungen eingesetzt werden, vor allemzur Behandlung
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