Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)
mir mit ihm blieb.
In unseren kurzen Flitterwochen erzählte ich Daniel auch von der Entzugsklinik in San Francisco, in der ich fast einen Monat war und die der seines Vaters in Seattle wohl sehr ähnlich ist.
Während der 919 Kilometer zwischen Las Vegas und Berkeley schmiedeten meine Großmutter und Mike O’Kelly Pläne, wie ich von der Bildfläche verschwinden konnte, bevor die Behörden oder die Gangster mich in die Finger bekamen. Ich hatte meinen Vater ein Jahr nicht gesehen, hatte ihn nicht vermisst und machte ihn für mein Unglück verantwortlich, aber mein Groll war verraucht, als wir in dem roten Pickup vor dem Haus hielten und er uns an der Tür erwartete. Genau wie meine Nini war auch mein Vater schmaler und gebeugter geworden; er war gealtert und nicht mehr der Frauenheld mit dem Filmstarlächeln, an den ich mich erinnerte. Er drückte mich fest an sich, sagte immer wieder meinen Namen mit einer Zärtlichkeit, die ich nicht von ihm kannte. »Ich dachte, wir hätten dich verloren, Tochter.« Ich hatte ihn nie von Gefühlen übermannt gesehen. Mein Vater war immer der Inbegriff von Haltung gewesen, sehr smart in seiner Pilotenuniform, von den Widrigkeiten des Daseins unberührt, von schönen Frauen begehrt, weltmännisch, kultiviert, zufrieden, gesund. »Gott segne dich,Gott segne dich, Tochter«, sagte er immer wieder. Wir kamen abends an, aber er hatte uns Frühstück gemacht: Schokoladenmilchshake und Arme Ritter mit Schlagsahne und Bananen, mein Lieblingsessen.
Während wir frühstückten, berichtete Mike O’Kelly uns über das Entzugsprogramm, von dem auch Olympia Pettiford gesprochen hatte, und sagte noch einmal, es handele sich um die beste bekannte Methode, mit der Sucht umzugehen. Mein Vater und meine Nini zuckten jedes Mal zusammen wie unter Stromstößen, wenn er »drogensüchtig« oder »Alkoholikerin« sagte, aber ich sah das mittlerweile als Teil meiner Wirklichkeit, denn die Witwen für Jesus, die einige Erfahrung auf dem Gebiet besaßen, hatten mir gegenüber kein Blatt vor den Mund genommen. Laut Mike war die Sucht ein gerissenes und geduldiges Raubtier, kannte unendlich viele Tricks, lag beständig auf der Lauer und wolle einem zu gern weismachen, man sei ja eigentlich nicht süchtig. Er gab uns einen kurzen Überblick über die Therapie-Angebote, die zur Auswahl standen, angefangen bei seinem eigenen Programm, gratis und sehr bescheiden, bis hin zu einer Klinik in San Francisco, die tausend Dollar am Tag kostete und von mir umgehend verworfen wurde, weil wir das Geld dazu nicht hatten. Mein Vater hörte mit zusammengebissenen Zähnen und geballten Fäusten zu, war sehr bleich im Gesicht und eröffnete uns am Ende, er werde die Ersparnisse seiner Altersvorsorge für meine Behandlung einsetzen. Er war durch nichts davon abzubringen, obwohl Mike versicherte, das Programm sei nicht viel anders als seins, bloß die Einrichtung sei schöner und man habe einen Blick aufs Meer.
Ich verbrachte den Dezember in der Klinik, deren japanische Architektur zu innerem Frieden und Meditation einlud: Holz, große Panoramafenster und Terrassen, viel Licht, ein Garten mit lauschigen Wegen und Bänken, auf denen man dick eingemummelt den Nebel betrachten konnte, einwohltemperiertes Schwimmbad. Der Blick auf Wasser und Wälder war die tausend Dollar am Tag wert. Ich war die jüngste Patientin, die anderen waren freundliche Männer und Frauen zwischen dreißig und sechzig, die mich auf den Gängen grüßten und zum Scrabble- oder Tischtennisspielen einluden, als wären wir im Urlaub. Abgesehen von ihrer gierigen Art, zu rauchen und Kaffee zu trinken, wirkten sie normal, niemand hätte sie für suchtkrank gehalten.
Das Programm ähnelte dem im Internat in Oregon, es gab Gesprächsrunden, Kurse, Gruppensitzungen, denselben Psycho-Slang von Therapeuten und Betreuern, der mir schon zu den Ohren rauskam, außerdem Zwölf-Schritte-Treffen, Abstinenz, Genesung, Nüchternheit. Ich brauchte eine Woche, ehe ich erste Kontakte zu den anderen Bewohnern knüpfte und die ständige Versuchung, mich davonzumachen, niedergekämpft war, denn die Türen standen offen, und der Aufenthalt war freiwillig. »Das ist nichts für mich«, lautete mein Mantra in dieser Woche, aber dass mein Vater seine Ersparnisse in diese achtundzwanzig Tage investiert hatte, die man vorab bezahlen musste, hielt mich zurück, weil ich ihn nicht noch einmal enttäuschen wollte.
Ich teilte mir ein Zimmer mit Loretta, einer attraktiven
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