Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)
Scheine in der Mojave-Wüste verbrannt habe; ob falsch oder nicht, sie hätten uns weitergeholfen.
Ich schreibe wieder in mein Heft, das ich wegen der vielen Mails an Daniel für eine Weile weggelegt hatte. Ich will es ihn lesen lassen, wenn wir wieder zusammen sind, dann lernt er mich und meine Familie besser kennen. In den Mails kann ich ihm nicht alles erzählen, was ich ihm gern erzählen würde, dort schreibe ich nur von meinem Alltag und mache das eine oder andere Liebesgeständnis. Manuel rät mir, meinen Gefühlsüberschwang im Zaum zu halten, weil einem Liebesbriefe mit ihrem Kitsch und ihrer Albernheit im Nachhinein immer peinlich seien, und in meinem Fall finden sie auch kein Echo beim Adressaten. Daniel antwortet nicht sehr häufig und eher knapp. Die Arbeit in der Klinik nimmt ihn wohl ziemlich in Anspruch, oder vielleicht hält er sich auch nur strikt an die Sicherheitsmaßnahmen, die meine Großmutter mir auferlegt hat.
Ich sorge dafür, dass ich was zu tun habe, sonst fange ich noch durch Selbstentzündung Feuer, wenn ich an Daniel denke. Das hat es schon gegeben, dass Leute ohne ersichtlichen Grund plötzlich in Flammen stehen und lodern. Mein Körper ist ein reifer Pfirsich, und wenn er nicht bald vernascht wird, fällt er vom Baum und zermatscht am Boden zwischen den Ameisen. Was zu befürchten ist, jedenfalls macht Daniel keine Anstalten, herzukommen und mich zu vernaschen. Dieses Klosterleben macht mich hundsmiserabel gelaunt, bei jeder Lappalie fahre ich aus der Haut, aber immerhin schlafe ich zum ersten Mal gut, seit ich denken kann, und meine Träume sind spannend, wenn auch nicht ausschließlich erotisch, wie ich das gern hätte. Seit dem plötzlichen Tod von Michael Jackson habe ich öfter von Freddy geträumt. Michael Jackson war doch sein tänzerisches Vorbild, er trauert bestimmt um ihn. Was wohl aus ihm geworden ist? Freddy hat sein Leben für mich riskiert, und ich hatte nicht mal Gelegenheit, mich bei ihm zu bedanken.
Freddy ähnelt Daniel ein bisschen, die gleiche Hautfarbe, die großen Augen mit den dichten Wimpern, die krausen Haare. Hätte Daniel einen Sohn, könnte er aussehen wie Freddy, allerdings wäre mit mir als Mutter die Gefahr groß, dass ein Däne rauskäme. Die Gene von Marta Otter sind sehr dominant, ich habe keinen Tropfen Latino-Blut abbekommen. In den USA gilt Daniel als schwarz, obwohl er hellhäutig ist und als Grieche oder Araber durchgehen könnte. »Junge schwarze Männer gehören in den USA zu den bedrohten Arten, so viele landen im Gefängnis oder werden umgebracht, ehe sie dreißig sind«, sagte er, als wir darüber sprachen. Er ist unter Weißen aufgewachsen, in einer liberalen Stadt im amerikanischen Westen, bewegt sich in privilegierten Kreisen, in denen ihm seine Hautfarbe keine Grenzen auferlegt, aber an vielen Orten wäre das anders. Das Leben ist leichter, wenn man weiß ist, das hat auch mein Großvater gewusst.
Mit seinen ein Meter neunzig, seinen hundertzwanzig Kilo, dem grauen Haar, der Goldrandbrille und den unvermeidlichen Hüten, die mein Vater ihm aus Italien mitbrachte, war mein Pop eine beeindruckende Erscheinung. An seiner Seite fühlte ich mich vor jeder Gefahr gefeit, niemand würde es wagen, diesem großen Mann etwas zu tun. Das jedenfalls glaubte ich bis zu dem Zwischenfall mit dem Fahrradfahrer, als ich ungefähr sieben Jahre alt war.
Die Universität von Buffalo hatte meinen Großvater zu einer Reihe von Vorträgen eingeladen. Wir wohnten in einem Hotel an der Delaware Avenue, in einer dieser prächtigen Millionärsvillen aus dem neunzehnten Jahrhundert, die privat heute kein Mensch mehr bewohnen kann. Es war kalt, es wehte ein eisiger Wind, aber mein Pop war trotzdem der Meinung, wir sollten einen Spaziergang im nahen Park machen. Meine Nini und ich gingen ein paar Schritte voraus und sprangen über Pfützen, sahen deshalb nicht, was geschah, hörten nur den Aufschrei und gleich darauf das Gezeter. Hinter uns war ein junger Mann mit seinem Fahrrad auf einer angefrorenen Pfütze offenbar ins Rutschen geraten, gegen meinen Großvater geschliddert und dann gestürzt. Mein Pop kam durch den Aufprall aus dem Gleichgewicht, der Hut fiel ihm vom Kopf und der geschlossene Regenschirm vom Arm, aber er selbst fing sich wieder. Ich rannte hinter dem Hut her, er bückte sich nach dem Schirm und streckte dem Radfahrer dann die Hand hin, um ihm aufzuhelfen.
Im nächsten Moment schlug die Szene in Gewalt um. Der erschrockene Radfahrer begann
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