Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)
zu schreien, ein Auto hielt, ein zweites, und fast sofort war eine Polizeistreife da.Keine Ahnung, wie die Leute darauf kamen, mein Großvater habe den Unfall verursacht und den Radfahrer mit seinem Regenschirm bedroht. Jedenfalls fackelten die Polizisten nicht lange, stießen meinen Großvater grob gegen den Streifenwagen, befahlen ihm, die Hände hochzunehmen, traten ihm die Füße auseinander, tasteten ihn ab und legten ihm Handschellen an. Meine Nini warf sich wie eine Löwin dazwischen, ließ vor den Uniformierten eine lautstarke Erklärung auf Spanisch vom Stapel, weil ihr in kritischen Momenten eine andere Sprache nicht einfällt, und als man sie wegschieben wollte, packte sie den größeren der beiden Polizisten so fest an der Jacke, dass der kurz den Boden unter den Füßen verlor, was eine Leistung ist für eine Frau mit weniger als fünfzig Kilo.
Wir landeten alle auf der Wache, nur war das nicht wie in Berkeley, und es gab keinen Sergeant Walczak, der einem Cappuccino brachte. Mein Großvater blutete aus der Nase und aus einer Wunde über der Augenbraue, versuchte in einem unterwürfigen Ton, den wir nie vom ihm gehört hatten, zu erklären, was geschehen war, und bat darum, die Universität anrufen zu dürfen. Als Antwort drohte man ihm, er werde eingesperrt, wenn er nicht die Klappe hielt. Meine Nini, ebenfalls in Handschellen, damit sie nicht noch mal jemanden angriff, musste sich auf eine Bank setzen, während ein Formular ausgefüllt wurde. Auf mich achtete keiner, und ich drückte mich bibbernd an sie. »Mach was, Maya«, flüsterte sie mir ins Ohr. In ihrem Blick las ich, was sie meinte. Ich holte tief Luft, füllte meine Lungen, stürzte mit einem kehligen Stöhnen, das im Raum widerhallte, zu Boden, bog mich nach hinten und wurde mit Schaum vorm Mund und ins Weiße verdrehten Augen von Krämpfen geschüttelt. Ich verwöhnter Dreikäsehoch hatte, um nicht in die Schule zu müssen, in meinen Trotzattacken schon jede Menge epileptischer Anfälle simuliert, konnte jeden Neurochirurgen hinters Licht führen und erst recht natürlichein paar Polizisten in Buffalo. Sie ließen uns telefonieren. Man fuhr mich zusammen mit meiner Nini im Rettungswagen ins Krankenhaus, das ich zum Erstaunen der Polizistin, die uns begleitete, vollständig von dem Anfall genesen erreichte, während die Universität einen Anwalt schickte, um den Astronomen aus der Zelle zu holen, die er mit ein paar Betrunkenen und Taschendieben teilte.
Abends trafen wir uns erschöpft im Hotel wieder. Wir aßen bloß einen Teller Suppe und legten uns dann alle drei in ein Bett. Von dem Zusammenstoß mit dem Fahrrad hatte mein Pop große Blutergüsse und von den Handschellen Striemen an den Gelenken. Im Dunkeln, umhüllt von der Wärme ihrer Körper wie von einem Kokon, fragte ich, was denn passiert sei. »Nichts Schlimmes, Maya, schlaf nur«, sagte mein Pop. Eine Weile schwiegen beide und taten, als würden sie schlafen, bis meine Nini schließlich sagte: »Passiert ist, Maya, dass dein Großvater schwarz ist.« Und in ihrer Stimme lag so viel Zorn, dass ich nicht weiterfragte.
Das war meine erste Lektion über den Unterschied der Hautfarben, den ich zuvor nicht wahrgenommen hatte, über den man aber, wie Daniel sagt, nicht hinwegsehen kann.
Manuel und ich schreiben sein Buch um. Ich sage, wir tun das, weil er die Ideen beisteuert, und ich schreibe, was ich sogar auf Spanisch besser kann als er. Angefangen hat alles damit, dass er Daniel die Mythen von Chiloé erzählte, und der als guter Psychiater anfing, sie zu zerpflücken. Er sagte, Götter verkörpern verschiedene Aspekte der menschlichen Psyche, Mythen erzählen von der Schöpfung, der Natur und grundlegenden Fragen des Menschseins und besitzen eine Verbindung zur Wirklichkeit, aber die hiesigen kommen einem vor, wie mit Kaugummi zusammengeklebt, der Zusammenhang wird nicht klar. Manuel ließ sich das durch den Kopf gehen und verkündete mir zwei Tage später, es sei schon ziemlich viel über die Mythologie Chiloés geschrieben worden und sein Buch trage nichts Neues bei, sofern er nicht eine Interpretation der Geschichten anbieten könne. Er hat mit seinen Verlegern gesprochen, und die haben den Abgabetermin für das neue Manuskript um vier Monate verschoben; wir müssen draufhalten. Daniel beteiligt sich aus der Ferne, weil es ihn interessiert, und so habe ich einen weiteren Vorwand, ständig in Kontakt mit unserem Berater in Seattle zu treten.
Das Winterwetter schränkt die
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