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Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)

Titel: Mayas Tagebuch: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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sagte ich zu Manuel.
    »Zu Besuch, um zu bleiben oder um dich abzuholen?«
    »Weiß nicht, keine Ahnung.«
    »Was wäre dir am liebsten?«
    »Dass er bleibt!«, sagte ich wie aus der Pistole geschossen und überraschte Manuel mit meiner Entschiedenheit.

    Seit unser Verwandtschaftsverhältnis geklärt ist, sieht Manuel mich oft mit feuchten Augen an, und am Freitag hat er mir aus Castro Pralinen mitgebracht. »Ich will dich nicht heiraten, Manuel, und schlag es dir aus dem Kopf, dass du je meinen Pop ersetzen könntest«, sagte ich. »Das würde mir im Traum nicht einfallen, närrische Gringa«, gab er zurück. Unser Umgang ist wie eh und je, kein Gekuschel und einiges an Spott, aber er kommt mir verändert vor, was auch Blanca nicht entgangen ist, ich kann nur hoffen, er wird uns auf seine alten Tage nicht gefühlsduselig. Die Beziehung der beiden hat sich ebenfalls verändert. Ein paarmal in der Woche schläft er jetzt bei Blanca und lässt mich hier allein mit den drei Fledermäusen, zwei neurotischen Katern und einem hinkenden Hund. Wir hatten schon manchmal Gelegenheit, über seine Vergangenheit zu sprechen, sie ist nicht mehr tabu, aber noch traue ich mich nicht, selbst davon anzufangen; ich warte lieber, bis er das Thema anschneidet, was gar nicht selten geschieht, denn seit seine Büchse der Pandora geöffnet ist, hat er das Bedürfnis, sich auszusprechen.
    Darüber, was Felipe Vidal widerfahren ist, konnte ich mir ein ziemlich genaues Bild machen. Neben dem, woran Manuel sich erinnert, gibt es eine ausführliche Schilderung, die seine Frau zu Protokoll gab, und im Archiv der Vicaría finden sich sogar zwei Briefe von ihm, die er vor seiner Verhaftung an sie geschrieben hat. Ich verletzte unsere Sicherheitsvereinbarung und ließ meiner Nini über Daniel einen Brief zukommen, in dem ich sie bat, mir das eine oder andere zu erklären. Sie antwortete mir auf gleichem Weg,und so konnte ich ergänzen, was mir an Information noch gefehlt hatte.
    Im Durcheinander der ersten Tage nach dem Militärputsch glaubten Felipe und Nidia, sie könnten, sofern sie nicht auffielen, ihr gewohntes Leben weiterführen. Felipe Vidal hatte während der dreijährigen Regierungszeit Salvador Allendes ein Politmagazin im Fernsehen moderiert, mit dem er sich bei den Militärs mehr als unbeliebt gemacht haben muss; dennoch war er nicht verhaftet worden. Nidia glaubte, die Demokratie werde bald wiederhergestellt sein, aber Felipe befürchtete, die Diktatur könne sich als langlebig erweisen, denn als Reporter hatte er über Kriege, Revolutionen und Machtübernahmen durch das Militär berichtet und wusste, dass sich die Gewalt, wenn sie einmal entfesselt ist, schwer wieder eindämmen lässt. Vor dem Putsch sah er das Land bereits wie ein Pulverfass, das jeden Moment hochgehen konnte, und das sagte er nach einer Pressekonferenz unter vier Augen zum Präsidenten. »Wissen Sie etwas, wovon ich nichts weiß, Compañero Vidal, oder ist es nur eine Vorahnung?«, wollte Allende wissen. »Ich fühle dem Land den Puls und denke, das Militär wird sich erheben«, antwortete er geradeheraus. »Chile besitzt eine lange demokratische Tradition, hier übernimmt niemand mit Gewalt die Macht. Ich bin mir über den Ernst dieser Krise im Klaren, Compañero, doch gehört mein Vertrauen dem Oberkommandierenden der Streitkräfte und dem Ehrgefühl unserer Soldaten, die ihre Pflicht tun werden«, sagte Allende in feierlichem Ton, als spräche er für die Nachwelt. Gemeint war General Augusto Pinochet, dem er unlängst das Kommando übertragen hatte, ein Mann aus der Provinz, aus einer Familie von Militärs, wärmstens empfohlen von seinem Vorgänger, General Prats, der aufgrund politischen Drucks hatte abdanken müssen. Vidal zitierte das Gespräch wörtlich in seiner Zeitungskolumne. Neun Tage später, am Dienstag, dem 11. September 1973, hörte er imRadio die letzten Worte des Präsidenten, der sich von seinem Volk verabschiedete, ehe er starb, und das Krachen der Bomben, die im Präsidentenpalast La Moneda einschlugen. Er rechnete mit dem Schlimmsten. Er glaubte nicht an das Märchen vom zivilisierten Verhalten des chilenischen Militärs, er hatte nicht umsonst Geschichte studiert, und Beispiele für das Gegenteil gab es reichlich. Er sah voraus, dass die Verfolgung gespenstisch sein würde.
    Die Militärjunta verhängte das Kriegsrecht, und zu den ersten Maßnahmen gehörte die strenge Zensur sämtlicher Medien. Es gab keine Nachrichten mehr, nur noch

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