Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)
Park und die Vicuñas, die ich mit Bändern an den Ohren geschmückt hatte. Meine Nini hatte mir ein kleines eingeschweißtes Foto von meinem Pop mitgebracht, darauf trägt er seinen Hut, hält die Pfeife in der Hand und strahlt in die Kamera. Mike O’Kelly hat es drei Jahre vor seinem Tod an Weihnachten gemacht, als ich dreizehn war und meinem Großvater seinen nicht zu findenden Planeten schenkte: einen kleinen grünen Ball, auf dem an die hundert Nummern verteilt waren, und die dazugehörigen Karten und Zeichnungen dessen, was man auf dem Planeten nach unseren gemeinsamen Vorstellungen alles finden konnte. Über das Geschenk hatte er sich sehr gefreut, deshalb strahlt er auf dem Foto wie ein Honigkuchenpferd.
»Dein Pop ist immer bei dir. Vergiss das nicht, Maya«, sagte meine Großmutter.
»Er ist tot, Nini!«
»Ja, aber du trägst ihn in dir, auch wenn du das noch nicht weißt. Am Anfang hat es so wehgetan, dass ich dachte, ich hätte ihn für immer verloren, aber jetzt kann ich ihn fast sehen.«
»Und jetzt tut es nicht mehr weh? Du Glückliche!«, fuhr ich sie böse an.
»Es tut noch weh, aber ich nehme es hin. Es geht mir deutlich besser.«
»Glückwunsch. Mir geht es immer schlechter in diesem Deppenheim. Hol mich hier raus, Nini, bevor ich restlos irre werde.«
»Jetzt werd nicht melodramatisch. Hier ist es viel schöner, als ich dachte, die Leute sind verständnisvoll und freundlich.«
»Weil ihr zu Besuch seid!«
»Willst du damit sagen, wenn wir weg sind, behandeln sie dich schlecht?«
»Geschlagen werden wir nicht, aber was die hier anwenden, ist Psycho-Folter, Nini. Sie machen uns mürbe mit Essens- und Schlafentzug, und dann waschen sie uns das Gehirn, sie stopfen uns den Kopf voll mit Zeug.«
»Was für Zeug?«
»Fürchterlicher Kram über Drogen, Geschlechtskrankheiten, Gefängnis, Nervenheilanstalten, Abtreibung, wir werden wie Idioten behandelt. Ist das etwa nichts?«
»Das ist zu viel. Dieser, wie heißt sie noch? Dieser Angie, der werde ich Bescheid stoßen. Die wird mich kennenlernen!«
»Nein, bloß nicht!« Ich hielt sie fest.
»Was soll das heißen, bloß nicht! Glaubst du, ich lasse zu, dass meine Enkelin behandelt wird wie ein Guantánamo-Häftling?« Und die chilenische Mafia stürmte mit großen Schritten zum Büro der Direktorin. Wenige Minuten später rief Angie mich zu sich.
»Maya, würdest du bitte vor deinem Vater wiederholen, was du deiner Großmutter erzählt hast?«
»Was genau?«
»Du weißt schon, was ich meine«, beharrte Angie, ohne die Stimme zu erheben.
Mein Vater wirkte nicht beeindruckt und erinnerte nur an die Entscheidung der Richterin: Therapie oder Knast. Ich blieb in Oregon.
Bei ihrem zweiten Besuch zwei Monate später war meine Nini froh: Endlich habe sie ihr Mädchen wieder, sagte sie, keine Dracula-Schminke mehr und kein Gang-Gehabe, ich sah gesund aus und war gut in Form. Was an den acht Kilometern lag, die ich täglich lief. Das gestattete man mir, denn so viel ich auch rannte, weit würde ich doch nicht kommen. Niemand ahnte, dass ich für meine Flucht trainierte.
Ich erzählte meiner Nini, wie wir Schüler uns über die Psychotests und Therapeuten lustig machten, die so leicht zu durchschauen waren, dass jeder Neuzugang sie hinters Licht führen konnte, und das Unterrichtsniveau könne man sowieso vergessen, hier würden sie uns zum Abschluss ein Zeugnis der Ahnungslosigkeit ausstellen, das könnten wir uns dann daheim an die Wand hängen. Alle hätten die Nasevoll von Dokumentarfilmen über das Abschmelzen der Polkappen und Forschungsreisen zum Mount Everest, wir wollten wissen, was in der Welt geschah. Sie meinte, das sei alles nicht der Rede wert, bloß schlechte Nachrichten und keine Lösungen dazu, die Welt gehe vor die Hunde, aber langsam genug, dass ich meinem Abschluss noch machen könne. »Ich kann es kaum erwarten, dass du wieder nach Hause kommst, Maya. Du fehlst mir so!« Und sie strich mir seufzend über mein buntscheckiges Haar, das ich mit den in der Natur nicht vorkommenden Farben bearbeitete, die sie mir per Post schickte.
Trotz des Regenbogens auf meinem Kopf fiel ich zwischen meinen Mitschülern nicht weiter auf. Als Ausgleich für die unzähligen Beschränkungen und um uns ein falsches Gefühl von Freiheit zu geben, wurden unserer Phantasie bei Kleidern und Haaren keine Grenzen gesetzt, es durften nur keine neuen Piercings und Tattoos zu den bereits vorhandenen dazukommen. Ich hatte einen goldenen Ring in der Nase
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