Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)
zu suchen. »Es gibt bessere Viertel, aber hier fällt man nicht auf, und hier betreibe ich mein Geschäft.«
»Was ist das für ein Geschäft?«
»Das siehst du gleich.«
Wir hielten vor einem dreistöckigen, halb verfallenen Gebäude mit kaputten Scheiben und Graffiti an den Wänden. Leeman und ich stiegen aus, und die beiden anderen fuhren weiter auf den Parkplatz an der Rückseite. Um es mir anders zu überlegen, war es inzwischen zu spät, also folgte ich Leeman und versuchte nicht misstrauisch zu wirken, was womöglich eine unschöne Reaktion bei ihm hervorgerufen hätte. Er führte mich durch eine Seitentür – der Vordereingang war vernagelt – in ein völlig heruntergekommenes Foyer, in dem ein paar Glühbirnen an nackten Kabeln spärliches Licht gaben. Leeman sagte, ursprünglich sei das Gebäude ein Hotel gewesen und später dann in Wohnungen aufgeteilt worden, aber die Hausverwaltung kümmere sich nicht gut, was angesichts des Zustands ziemlich untertrieben schien.
Über eine schmutzige, stinkende Treppe passierten wir den ersten Stock, wo etliche schief in den Angeln hängende Türen den Blick in höhlenhafte Räume freigaben. Wir begegneten niemandem auf der Treppe, aber ich hörte Stimmen und Lachen und sah reglose menschliche Schatten in den offenen Zimmern. Später erfuhr ich, dass sich hier und im Erdgeschoss die Junkies zum Schnüffeln und Drücken trafen, zum Anschaffen, Dealen und Sterben, aber niemand ging ohne Erlaubnis hoch in den zweiten Stock. Die Treppe ins obere Stockwerk war durch ein elektronisch gesichertes Gitter versperrt, Leeman öffnete es mit einer Fernbedienung, und wir gelangten in einen im Vergleich zu dem Schweinestall unten ziemlich sauberen Flur. Leeman schloss eine Metalltür auf zu einer Wohnung mit vernagelten Fenstern. Nackte Glühbirnen an der Decke und der bläuliche Schein eines Fernsehers sorgten für Licht und ein Klimagerät für erträgliche Temperaturen; es roch nach Lösungsmittel und Menthol. Im Raum vor uns ein Dreisitzersofa in gutem Zustand, zwei verschlissene Matratzen auf dem Boden, ein langer Tisch mit ein paar Stühlen und ein gigantischer neuer Fernseher, vor dem ein etwa zwölf Jahre alter Junge auf dem Boden lag und Popcorn aß.
»Du hast mich eingesperrt, du Arsch!«, maulte der Junge, ohne den Blick vom Bildschirm zu wenden.
»Und?«, gab Brandon Leeman zurück.
»Bei einem Scheißbrand wär ich gegrillt worden wie ein Würstchen!«
»Warum sollte es hier brennen? Das ist Freddy, der künftige King of Rap«, wandte er sich an mich. »Freddy, sag dem Mädchen Hallo. Sie wird für mich arbeiten.«
Freddy sah nicht auf. Ich machte einen Rundgang durch diese seltsame Wohnung, in der es fast keine Möbel gab, sich in den Zimmern aber veraltete Computer und sonstige Bürogeräte türmten, in der Küche, wo offenbar nie gekocht worden war, jede Menge Bunsenbrenner herumstanden, die ich mir nicht erklären konnte, und einer der Flure gesäumt war von Kisten und Säcken.
Die Wohnung war im selben Stockwerk durch ein großes, anscheinend mit dem Vorschlaghammer geöffnetes Loch in der Wand mit einer zweiten verbunden. »Hier ist mein Büro, und dort schlafe ich«, erklärte mir Brandon Leeman. Wir kletterten gebückt durch die Öffnung in einen Wohnraum, der aussah wie auf der anderen Seite, aber ohne Möbel, ebenfalls klimatisiert, die Fenster vernagelt und die Tür nach draußen mit mehreren Riegeln gesichert. »Wie du siehst, habe ich keine Familie«, sagte mein Gastgeber und wies mit übertriebenem Pathos in den leeren Raum. In einem der angrenzenden Zimmer stand ein großes, ungemachtes Bett, in einer Ecke ein Stapel Kisten und ein Koffer und dem Bett gegenüber ein zweiter teurer Fernseher. Im Raum nebenan, kleiner und genauso versifft wie die gesamte Wohnung, ein schmales Bett, eine Kommode und zwei weiß gestrichene Nachttischchen wie für ein kleines Mädchen.
»Falls du bleibst, wohnst du hier«, sagte Brandon Leeman.
»Warum sind die Fenster vernagelt?«
»Vorsichtsmaßnahme, ich mag keine Gaffer. Ich sage dir, worin deine Arbeit bestehen würde. Ich brauche ein Mädchen, das gut aussieht, für die exklusiven Hotels und Casinos. Eine wie dich, die keinen Verdacht erregt.«
»Hotels?«
»Nicht für das, was du denkst. Gegen die Banden, die ihr Geld mit Prostituierten machen, hätte ich sowieso keine Chance. Das Geschäft ist brutal, und hier gibt es mehr Nutten und Zuhälter als Freier. Nein, nein, nichts in die Richtung, du
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