Mayas Tagebuch: Roman (German Edition)
würdest nur Lieferungen dort abgeben, wo ich’s dir sage.«
»Was für Lieferungen?«
»Stoff. Leute von Welt wissen Zimmerservice zu schätzen.«
»Das ist saugefährlich!«
»Nein. Die Hotelangestellten kriegen ihren Anteil und winken einen durch, ihnen ist daran gelegen, dass die Gäste zufrieden sind. Schwierigkeiten könnte allenfalls jemand von der Drogenfahndung machen, aber von denen hat sich noch nie einer blicken lassen, das kannst du mir glauben. Es ist ein Kinderspiel, und du wirst im Geld schwimmen.«
»Sofern ich mit dir ins Bett gehe …«
»Ach was, nein! Damit bin ich lange durch, und du glaubst nicht, wie das mein Leben vereinfacht.« Er lachte herzhaft. »Ich muss los. Versuch zu schlafen, morgen können wir anfangen.«
»Du warst echt nett zu mir, und ich will auch nicht undankbar sein, aber ehrlich, ich werde dir wenig helfen können. Ich …«
»Schlaf einmal drüber«, unterbrach er mich. »Ich zwinge keinen, für mich zu arbeiten. Wenn du morgen weg willst, ist das dein gutes Recht, aber im Moment bist du hier besser aufgehoben als auf der Straße, oder?«
Ich setzte mich mit meinem Rucksack auf den Knien aufs Bett. Ich hatte einen Nachgeschmack von Fett und Zwiebeln im Mund, der Hamburger lag mir wie ein Stein im Magen, meine Muskeln schmerzten, meine Knochen fühlten sich an wie Gummi, ich war groggy. Ich dachte an den anstrengenden Lauf durch den Wald, an die Misshandlungen im Motel, die stundenlange Fahrt im Truck, nochbenebelt von diesem Zeug, und eigentlich war mir klar, dass ich mich ausruhen musste.
»Du kannst auch mitkommen, wenn dir das lieber ist«, bot Leeman an, »dann lernst du meine Jagdgründe gleich kennen, aber ich warne dich, es wird eine lange Nacht.«
Ich konnte unmöglich allein in dieser Wohnung bleiben. Bis vier Uhr früh klapperten wir Hotels und Casinos auf dem Strip ab, wo Leeman verschiedenen Leuten Tütchen zusteckte, Türstehern, Parkplatzwächtern, jungen Frauen und Männern, die aussahen wie Touristen und an dunklen Ecken auf ihn warteten. Der Chinese saß am Steuer, Joe Martin stand Schmiere, und Brandon Leeman besorgte die Übergabe; keiner der drei betrat die Gebäude, dafür waren sie schon zu lange in derselben Gegend aktiv, die Polizei kannte sie oder hatte jedenfalls ein Auge auf sie. »Ich kann diese Arbeit schlecht selbst übernehmen, aber Zwischenhändler möchte ich auch keine, sie kassieren übertrieben viel Kommission, und man kann ihnen nicht trauen.« Ich begriff, welche Vorteile es für Leeman haben würde, wenn ich für ihn arbeitete, ich würde mein Gesicht hinhalten und das Risiko tragen, aber keine Kommission bekommen. Was würde ich verdienen? Ich traute mich nicht zu fragen. Nach der Runde kehrten wir in die Wohnung zurück, wo Freddy, der Junge, den ich schon gesehen hatte, auf einer der Matratzen schlief.
Brandon Leeman hat über seine Geschäfte und das Leben, das er mir bot, immer Klartext mit mir geredet, ich kann nicht behaupten, er hätte mir was vorgemacht. Als ich bei ihm blieb, wusste ich genau, was ich tat
Manuel sieht mich konzentriert in mein Heft schreiben, fragt aber nie, was ich schreibe. Was ihm an Neugier fehlt, habe ich im Überfluss: Ich wüsste gern mehr über ihn, seine Vergangenheit, sein Liebesleben, seine Albträume, wüsste gern, was er für Blanca empfindet. Er erzählt mir nichts,erfährt von mir dagegen fast alles, weil er gut zuhören kann und mir keine Ratschläge erteilt, da könnte sich meine Nini eine Scheibe von abschneiden. Noch habe ich ihm nichts von der demütigenden Nacht mit Roy Fedgewick erzählt, aber irgendwann werde ich das tun. Das ist ein Geheimnis, das einem, wenn man es für sich behält, irgendwann den Geist verseucht. Schuldig fühle ich mich nicht, schuld ist der Vergewaltiger, aber ich schäme mich.
Gestern fand mich Manuel vor seinem Computer versunken in einen Artikel über die »Karawane des Todes«, eine Einheit der Streitkräfte, die im Oktober 1973, einen Monat nach dem Putsch, von Norden nach Süden durch Chile zog und politische Gefangene ermordete. Die Einheit wurde von einem gewissen General Arellano Stark befehligt, der willkürlich Gefangene auswählte und ohne Verfahren erschießen ließ. Die Leichen jagte man danach mit Dynamit in die Luft, um die Zivilbevölkerung und Soldaten, deren Loyalität in Frage stand, in Angst und Schrecken zu versetzen. Manuel spricht nie über diese Zeit, aber als er sah, dass es mich interessierte, lieh er mir ein Buch, das
Weitere Kostenlose Bücher